Dienstag, 30. Oktober 2012

Noch alle Bücher im Schrank?

Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür. Er hat eine große Klappe und eine noch viel größere, die er nur dann aufreißt, wenn man eine Schlüsselrolle übernimmt. Die meiste Zeit ist er aber äußerst verschlossen, in seinem Herzen ist es dunkel. Doch ich mag ihn sehr, meinen Briefkasten, den alten Geheimniskrämer, den Hüter guter wie schlechter Nachrichten.

Jeden Tag begegne ich ihm mit ein bisschen Herzklopfen. Nicht, weil er so blendend aussieht mit seinem stählernen Äußeren, sondern wegen der ewig gleichen Frage: Was wird er mir heute eröffnen, was wird er ausspucken? Wird er gähnend leer sein, wird er nur wieder Werbung oder ruinöse Rechnungen feilbieten, oder gar zur Abwechslung mal eine schöne Überraschung?

So wie neulich, als mir ein brauner Luftpolsterumschlag entgegenkam mit bunten Briefmarken darauf. Das ist schön, denn ich mag Postwertzeichen, die mehr als nur ihren Preis anzeigen und ein bisschen was von der Welt zeigen. Der Umschlag jedoch wollte lieber anonym bleiben, kein Absender war zu entdecken, nur eine Aufschrift mit den Worten "Aussortiert. Viel Spaß, als Ausgleich Garten Kanaren". Jetzt wuchs meine Spannung ins Unermessliche! Gut, das Wort "Büchersendung" ließ Gold und Geschmeide schon mal ausscheiden, soviel war klar.



Tatsächlich purzelte schließlich dieses Schriftstück heraus: "The exotic Flora of the Canary Islands" [1] von Juan Alberto Rodriguez Perez, einem Mann, der nicht nur mit bemerkenswert vielen Vornamen, sondern auch mit viel Wissen gesegnet ist. Erscheinungsjahr des Werkes vermutlich 1990 und daher kaum noch im Buchhandel zu greifen.



Auf der Rückseite prangt ein Preisschild in Pesetas - ein Hinweis, dass das Buch endemisch auf den Kanaren vorkommen könnte und möglicherweise direkt von dort eingeschleppt wurde.

Ich habe mich jedenfalls riesig gefreut und eine glückliche Zeit mit dem Pflanzenführer auf dem Sofa verbracht, wo ich mit seiner Hilfe tatsächlich in Null-Komma-Nichts zwei meiner unbekannten Kanarenbäume identifizieren konnte! Vielen Dank dem unbekannten Absender! Da hatte doch jemand meinen Kanaren-Artikel gelesen und auf so zuvorkommende Weise an meine Pleite mit dem botanischen Garten gedacht!


Dieser beglückende Bücherfund in meinem Briefkasten zeigt nun zwei Dinge: Erstens gibt es da draußen nette Menschen, die an wissensdurstige bloggende Gärtner denken. Und zweitens sind da Leute, die dringend etwas gegen das Völlegefühl in ihrem Bücherregal tun müssen. Manchmal alles in einer Person.

Wie man sehen kann, kostet es nicht die Welt, so eine schöne Überraschung zu verschicken, nämlich momentan 85 Cent.

Kann man sein Bücherregal auch ganz kostenfrei und ebenso wohltäterisch ausmisten?

Hier ein paar Möglichkeiten, von denen manche durchaus das Zeug haben, die Gartenkasse aufzubessern - umweltfreundlich sind sie alle:

  • Als die Bücher laufen lernten: Einen Karton mit Büchern und der Aufschrift "Zu verschenken" versehen und an die Straße stellen. Dabei auf gutes, trockenes Wetter achten, um die Laufkundschaft abzugreifen und die Ware nicht auf die Schnelle nass und altpapier-tauglich werden zu lassen. Eine weitere Voraussetzung ist die gute Verkehrsanbindung so einer Spendenbox - in Sackgassen wie an Schnellstraßen wird sich der Karton nicht so gut leeren. Vorteil: Bücher weg. Nachteil: Kein Geld für den Garten erwirtschaftet.

  • Außenhandel: Einen öffentlichen Bücherschrank aufsuchen. Solche finden sich mit ein bisschen Glück in Bioläden oder auch mit durchgehenden Öffnungszeiten ganz autark in manchen Ortschaften - ein wahres Prachtexemplar steht in Oerlinghausen (siehe Bild). Vorteil: Die Bücher werden nicht nass und erreichen ein gutes Publikum, ohne dass wir sie mit Argusaugen beobachten müssten. Mit ein bisschen Glück findet man dort sogar ausrangierte Gartenbücher. Nachteil: Wenn man schon mal da ist, nimmt man gleich auch Leseproben mit, wodurch die Problemzone zuhause nicht im Geringsten kleiner wird, aber immerhin spannender.
Bücherschrank in Oerlinghausen

  • Fernabsatz: Viele Onlinehändler versprechen mittlerweile das lukrative, lässige Loswerden von ungeliebten Drucksachen. Leider stellt sich nur allzu bald heraus: Die Preise sind klein, die Gewinnspanne umso größer. Wenn sie unsere Bücher überhaupt haben wollen, denn viele werden gleich brüsk abgelehnt (so auch das fabelhafte Werk unseres guten Señor Perez, das ich spaßeshalber mal auf den einschlägigen Internetseiten eingegeben habe). Ganz anders funktioniert da Buchspende.org, ein Integrationsbetrieb für Menschen mit Behinderungen, der unter anderem ein Buchantiquariat unterhält. Dort bekommt man mindestens einen Euro für jedes Buch, oft sogar deutlich mehr - meine Testbücher wollten sie alle ankaufen, keines wurde entsetzt zurückgewiesen. Der Clou dabei: Man bekommt gar kein Geld von denen, zumindest nichts Bares. Stattdessen erhält man einige Wochen nach Eingang des Pakets eine Spendenquittung, auf der der Buchwert und das Porto zusammengerechnet sind. Beim nächsten Lohnsteuerjahresausgleich gibt es dann eine Belohnung. Berliner haben es sogar noch einfacher, die können die Bücher vorbeibringen oder abholen lassen. Ich habe es bereits getestet - die Quittung bekommt man wirklich! Vorteil: Regal leer, Geld verdient, alle glücklich. Nachteil: Man braucht einen Drucker für die Buchliste zwecks Spendennachweis und muss als Nicht-Berliner zur Post.

Bei der letzteren Variante kann man also sogar ein bisschen Geld für den Garten aus den alten Schinken herausholen. Wie auch immer man sich entscheidet - Platz für neue Gartenbücher hat man auf jeden Fall geschaffen! Denn man weiß ja nie, wann das nächste nette Überraschungspaket kommt!


[1] "Exotisch" meint hier nicht "ungewöhnlich für unsere nordeuropäischen Augen", sondern tatsächlich eine für die Inseln nicht heimische Flora von Straßenbäumen und Parkinventar.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Wer schön sein will, muss leiden

Der Bogenhanf hat's nicht leicht. Während Sansevieria trifasciata lange Zeit als angestaubt galt, ist sie mittlerweile wieder als lebende Skulptur auf mancher Fensterbank zuhause. Die hat's gut, im Gegensatz zu ihrer Verwandten Sansevieria cylindrica, die zwar der Senkrechtstarter unter den Zimmerpflanzen ist und sagenhaft robust, aber nicht eben zimperlich behandelt wird.

Es verhält sich nämlich so, dass an ihrem anarchistisch in alle Richtungen wuchernden Habitus nicht wirklich ein kommerzielles Interesse besteht. Zu ungestüm gebärdet sie sich - wie eine Kobra auf Steroiden:



Das hätte die Wappenpflanze der wilden 60er werden können, wenn man sie zu der Zeit nur schon kultiviert hat. Mein zwanzig Jahre altes Zimmerpflanzenbuch jedenfalls erwähnt die Art mit keinem Wort.

Statt dieser natürlichen Wuchsform wird eine ganz neumodische Erscheinung präferiert: Allerhand abstrakte Kunst mit Sansevieria cylindrica - und zwar möglichst viele unschuldige Blätter dicht nebeneinander wie Spaghetti in einen Topf gequetscht.
Das sieht zwar wahnsinnig cool und trendy aus, aber die arme Pflanze kommt so nicht in der Natur vor.

Wie jedes Grünzeug ist auch sie ständig auf Expansionskurs, aber wo soll sie nur hinwachsen in so einem Topf? Überall ist schon besetzt, steht ein Nachbarblatt im Weg, das dieselben Probleme hat. Wie eine saftiggrüne Selbsthilfegruppe in der Sardinenbüchse mag sie sich vorkommen.

Was der geschäftstüchtige Gärtner da nämlich in ein einziges Pflanzgefäß gefercht hat, sind dicht an dicht etliche Blattstecklinge von Sansevieria cylindrica, meistens sogar mehr schlecht als recht bewurzelt in lockerem Substrat fragwürdiger Natur.

Von einer geheimen Überwachungskamera wurde uns dieses Bild zugespielt - die Pflanzen möchten lieber unerkannt bleiben:



Jeden einzelnen Blattsteckling kann man wieder eintopfen und irgendwann hat man eine neue Pflanze. Am besten kauft man sich einen solchen Massenpflanzenhaltungs-Topf gleich mit mehreren eingeschworenen Sansevierien-Fans gemeinsam und teilt schwesterlich. Man könnte doch gleich einen geselligen Umtopfabend veranstalten!

Leider gibt es sogar noch eine Steigerung dieser botanischen Elendsgestalten: Blattstecklinge mit brutalst zusammengeflochtenen Blättern, bei denen es einem direkt in den Fingern juckt, die geschundene Kreatur zu befreien! Wo war noch gleich die Telefonnummer von Amnesty International?
Wie jemand die so flechten kann ist mir sowieso ein Rätsel, da die Blätter so hart sind, dass man Nägel damit in die Wand schlagen könnte.

Was aus einem einzelnen Blattsteckling werden kann, sieht man hier. Dieser ist jetzt etwa eineinhalb Jahre in Einzelhaft:


Dafür, dass der Bogenhanf als gemächlicher Wachser gilt, legen die neuen Blätter ein geradezu rasantes Tempo vor.

Nun habe ich also auch so ein wunderbar anarchistisches Medusenhaupt mit wilder Frisur auf der Fensterbank stehen, das zunehmend um sich greift und ein ziemlich einnehmendes Wesen hat.

Aber sie's drum, schließlich sei auch Zimmerpflanzen ein Bad-Hair-Day von Herzen gegönnt.

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Am Ende des Regenbogens

Tomaten sind nun wahrlich die schönste Art, Wasser aufzubewahren. Und natürlich Geschmack. Deshalb halten sie auch nicht lange und werden schleunigst aufgegessen.

Weil man von Tomaten nie genug bekommt, habe ich mir dieses Jahr gleich einen halben Regenbogen aus Samen herangezogen, zumindest ein Ende davon - mit Gelb, Orange und Rot. Mit vier großen Kübeln war die Terrasse zwar gut gefüllt mit krakenartigem Wildwuchs und früchtetragenden Fußangeln, aber dafür konnten wir seit Juli auch wieder einmal erfolgreich die industrielle Tomatenzucht boykottieren. Zugegeben, die einzelnen Früchte waren nie größer als ein Taubenei, aber dafür zahlreich und sorgenfrei - bei jedem Wetter gab es Nachschub.



Wie letztes Jahr war wieder mein Goldschatz mit von der Partie - die gelbe Wildtomate Golden Currant. Weil sie so ein durchschlagender Erfolg war und keimt wie Unkraut, konnte ich nicht anders und ihr zwei Kübel nur für sich allein spendieren. Sie dankte es mir mit außerordentlicher Robustheit und Pilzfreiheit. Zwar wurden auch bei ihr einige Früchte braun, aber sie wuchs trotzdem in den Himmel und trägt auch im Oktober noch so reichlich, als gäbe es kein Morgen und schon gar keinen Winter.



Die nächste im Regenbogen ist ein Er und der Grund, warum meine Freunde jetzt denken, ich würde meinen Pflanzen Namen geben: Fredi, die dicke orange-farbene Datteltomate. Die Sortenbezeichnung allein ist schon so lustig, dazu kommen pralle, äußerst platzfeste Früchte, die der Herr ganz modisch in adretten Rispen zu tragen pflegt. Selbst im Ganzen angebraten in der Pfanne laufen die nicht aus! Eine einzelne Frucht kann durchaus 15 g wiegen - ein ganzer Kerl also.



Die Samen keimten zufriedenstellend, aber nicht so ungestüm wie Golden Currant, so dass ich nur einen Topf mit drei Exemplaren bepflanzte. Leider neigte Monsieur Fredi in seiner Männer-WG ab August zu ganz schlimmer Braunfäule, eine Farbe, die ihm wirklich äußerst schlecht steht und nicht gerade seinen sonnigen Teint betont. Allerdings ist er auch eine wahre Kämpfernatur - der wächst trotzdem einfach weiter und trägt immer noch.



Die rote Celsior machte mir erst große Sorgen, da sie ein kleiner Keimmuffel war - nur einen einzigen Sämling hatte ich am Ende! Ehrensache, dass der ein Einzelzimmer bekam - einen geräumigen Kübel nur für ihn.

Und was soll ich sagen - die Früchte sehen nicht nur aus wie kleine Pappnasen - diese tolle Tomate hat den Schalk im Nacken wie keine zweite. Ein echte Frohnatur, pilzfrei und immer gut gelaunt, hat sie mir etliche Früchte beschert, die aussahen, wie eine Mischung aus Barbapapa und Mordillo-Männchen:





Man mochte diese fröhliche Truppe gar nicht essen, hätte sie am liebsten ausgestopft und für immer aufbewahrt, als Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Figuren zum Beispiel. Blöderweise reichten die Farben aber nur für zwei Spieler, denn mehr als Rot und Grün war beim besten Willen nicht drin (gammeliges Braun zählt nicht so richtig und macht keinen Spaß).

Achtung - hier hat sich eine Jalapeno reingeschummelt!


Und nun die jährliche Tomatenstatistik, wie immer kurvenreich und zackig: Die Linienfarbe entspricht der Tönung der Früchte:


Wie man sehen kann, ist Golden Currant mal wieder der Tomatenstreber - fängt als erste an und bringt insgesamt am meisten auf die Waage, allerdings waren das ja nun auch zwei Kübel voll. Die einzige Celsior-Pflanze war ein Spätzünder, trug aber dafür recht üppig und punktet außerdem durch ihren hohen Unterhaltungswert, auch schon vor dem Essen. Fredi hatte mehrere Höhepunkte und begibt sich dank Braunfäule gemächlich in den Ruhestand.

Alles zusammengerechnet ergibt das stolze 5,7 kg Tomaten, allesamt köstlich!

Das Regenbogen-Trio ist also sehr zu empfehlen, wenn man frustfreien Tomatenanbau ausprobieren möchte. Wer sich nicht gleich alle drei zulegen möchte, soll es doch einmal mit der guten alten Golden Currant versuchen - die ist wirklich Gold wert und lässt sich jedes Jahr wieder aus den selbst geernteten Samen vermehren.  Wer allerdings auch was zum Lachen möchte, der wähle die rote Celsior. Falls ihr gerne mit euren Pflanzen redet, ist der dicke Fredi der richtige Ansprechpartner, denn der Name geht gut von der Zunge - und der schmeckt auch noch dazu.

Egal, wie ihr euch entscheidet, die drei Sorten haben mir sehr viel Freude gemacht und waren die gute Erde und das viele Wasser auf jeden Fall wert!

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Ach, du dickes Huhn!

Ein Garten ohne Phlox ist ein Irrtum, sagte seinerzeit Karl Foerster. Kann sein. Aber ein Garten ohne Fette Henne ist ein Fehler, sage ich. Das hat jetzt nicht so eine Tragweite, als wenn Herr F. das gesagt hätte, aber ich wollte auch mal was zu dem Thema beitragen, jawoll. Wer die dickblättrige Dame unter den Stauden jetzt nämlich nicht im Garten hat, guckt ziemlich dumm aus der Wäsche. Denn es gibt zwar viele hübsche Herbststauden, aber nur das sagenhafte Sedum bleibt so lange so ansehnlich. Bis nächstes Jahr, wenn man es nicht vorschnell schneidet.


Dabei glaubt man im Frühjahr noch nicht so recht, dass man ohne Sedum spectabile und S. telephium überhaupt etwas verpassen wird. Zu sehr ist man damit beschäftigt, die Tulpen zu bewundern und später die Rosen. Aber nicht umsonst hatten unsere Altvorderen schon annodazumal die Fette Henne im Garten. Jetzt im Herbst schlägt ihre große Stunde und wir sind froh, dass sie da ist und Struktur und Farbe in die Beete bringt.

Und bloß nicht schon beim ersten Frost alles abschneiden, dann bringt man sich um die schönsten Winterbilder:



Seit es Sorten mit violettem Laub gibt, wie Purple Emperor oder Matrona, haben auch Freunde des purpurfarbenen Gartens keine Ausrede mehr, die Grande Dame unter den Stauden nicht zu pflanzen. Selbst weißblühende Varietäten gibt es für die Anhänger des weißen Beetes, wie Sedum spectabile 'Iceberg'.


Sprichwörtlich ist ihre Robustheit. Gibt man ihr genug Sonne, blüht sie jedes Jahr wieder. Selbst voller Schatten bringt sie nicht sofort um. Sie spart sich dann zwar die Blüte komplett, aber auch nach einigen Jahren kann man sie noch aus einem verwilderten Garten und dieser misslichen Lage befreien. Schnecken lassen sie weitgehend in Ruhe, bei Hummeln, Bienen und Schmetterlingen ist sie dagegen äußerst beliebt.

Man sagt ihr eine gute Trockenheitsverträglichkeit nach, allerdings sollte man diese nicht überbewerten: Kommt die Dürre zur falschen Zeit, nämlich im Mai oder Juni, macht sich selbst die Fetteste Henne ganz schnell ganz dünn. In dieser Zeit muss man ihr schon mal unter die stämmigen Arme greifen, vor allem im Topf. Im Hochsommer erträgt sie längere trockene Phasen aber mit Würde.

Die Vermehrung ist denkbar einfach. Man kann es schaffen, keine einzige Fette Henne zu kaufen, und sie sich stattdessen aus anderen Gärten schenken zu lassen, wenn sie dort zu breit oder zu blühfaul geworden ist. Oder wenn der andere Gärtner uns einfach eine Freude machen möchte. So bin ich zu fast allen meinen dicken Hühnern gekommen.

Bewährt haben sich zwei Methoden der Vervielfältigung:

1. Teile und herrsche: Einen Horst mit dem Spaten teilen, schon hat man mehrere neue Pflanzen, die garantiert anwachsen. Jederzeit. Das macht man natürlich in einem fremden Garten nicht selbst, denn Raubkopieren wird auch dort nicht gern gesehen. Aber wer nett fragt, bekommt bestimmt eine nette Fette Henne geschenkt. Eine meiner beleibten Damen habe ich sogar schon einmal von einem fremden Kompost mitnehmen dürfen, wo sie der Verrottung zugeführt werden sollte.

2. Floristik im Namen der Fortpflanzung: Blumensträuße vermehren! Wer schon einmal Blütenstiele von Sedum in die Vase gestellt hat, wird bemerken, wie schnell sie sich bewurzeln. Selbst durch die Schere lässt sie sich nämlich nicht unterkriegen! Die Triebe kann man noch im Herbst an Ort und Stelle einpflanzen. Mit ein bisschen Glück wächst entweder aus dem Boden eine neue Blattrosette oder aus den Blattachseln. Oder beides. Diese winzigen Pflänzchen, die am Stiel gewachsen sind, kommen inklusive eigener Wurzeln daher und können abgetrennt und eingepflanzt werden. Mitunter klappt das sogar ganz ohne den Umweg über die Vase, wenn nämlich im Frühjahr an den nicht zurück geschnittenen alten Trieben winzige Küken sprossen - ein Grund mehr, die ollen Blüten an Ort und Stelle zu belassen, bis sie den frischen Austrieb nerven.

Brutknospe an vorjährigem Blütenstiel

Im Frühling gepflanzt, kann man staunen, was noch im selben Jahr aus so einer nur Sempervivum-großen Rosette werden kann. Diese stattliche Staude hier habe ich aus drei solchen Ablegerchen herangezogen - vom Baby bis zur Blüte in nur sechs Monaten!



Also, ran an den Speck: Jetzt ist noch Gelegenheit, sich in der Vermehrung von Fetten Hennen zu versuchen. Die Verwendungsmöglichkeiten der Pflanze sind jedenfalls grenzenlos: Sie passt in ein modernes Gräserbeet genauso wie in den Bauerngarten, in naturnahe Gestaltungen ebenso wie in formale. Besonders schön wirkt sie mit filigraneren Stauden wie hoher Katzenminze oder Gaura.

Und - Karl Foerster wird es gewusst haben - selbst zu Phlox ist sie kein Irrtum:



Mittwoch, 3. Oktober 2012

Gerettet

Skrupelloser Blumenhändler setzt Balkontomate auf dem Supermarktparkplatz aus

Bielefeld. Auch ohne Ferienzeit und andere schlechte Ausreden wurde ein Topf mit einer Balkontomate darin letzte Woche vor die Supermarkttür geworfen. Hierbei handelte es sich um eine alleinerziehende Pflanze dreier überreifer Früchtchen. In einem völlig verwahrlosten Zustand fand sie eine mitleidige Bürgerin und nahm sie in ihre Obhut. Ohne diese engagierte Mithilfe wäre die Pflanze bald darauf den Tod durch qualvolles Vertrocknen gestorben, denn geregnet hatte es schon lange nicht mehr. Die Pflanze trägt keinen Mikrochip, so dass der frühere Halter nicht eindeutig zu ermitteln ist. Hinweise bitte an die ermittelnde Tomatendienststelle.

Diese Schlagzeile hat es natürlich so nie gegeben, aber die Geschichte ist wahr. Ich war nämlich die bekloppte Bürgerin, die es wieder einmal nicht lassen konnte, das marode Grünzeug einzukassieren. Es lag in arger Schräglage auf einer Grünfläche am Supermarkt. Ich habe es mitgenommen, obwohl meine eigenen Tomaten auf der Terrasse die Weltherrschaft anstreben. Mittlerweile wachsen sie die Hauswand empor und haben den Rasenmäher als Rankhilfe entdeckt, so dass ich ihn bei jedem Frisiertermin erst entwirren muss.

Wildtomate Golden Currant erklimmt den Rasenmäher

Eine meiner Wildtomaten wird hier professionell bestäubt
 
Paradeiser habe ich also genug und Arbeit mit denen auch. Aber ich liebe die Herausforderung und konnte den Pflegefall nicht einfach vertrocknen lassen. Eine Frucht war immerhin noch essbar, die beiden anderen waren schon überflüssig.

Dabei ist die Rettung um diese Jahreszeit eigentlich ziemlich fruchtlos, denn es ist genauso spät für die Anschaffung weiterer Tomaten wie es viel zu früh ist für Spekulatius und Lebkuchen. Aber das alles ist nun mal jetzt da und man muss das beste daraus machen. Einen leckeren Lebkuchen würde ich im September ja auch nicht von der Tellerkante schubsen.

Ich habe einfach ein zu weiches Herz für Nutzpflanzen. Auf dem Acker ausgerissenen Mais würde ich natürlich ungern adoptieren, aber wenn das Grünzeug schon komplett im Umzugstopf und fertig gestäbt daherkommt, kann ich es nicht einfach links liegen lassen. Dabei hatte ich das sogar erst vor, aus oben genannten Gründen. Daher habe ich den Einkauf zunächst tomatenlos begonnen. Aber schon irgendwo zwischen Zeitschriftenregal und Gemüseabteilung wuchsen Gier und Mitleid in etwa proportional zur Fülle des Einkaufswagens. Sollte der Rucksack nachher voll sein, bliebe immerhin noch der Fahrradgepäckträger. Der kann sich schließlich auch mal nützlich machen und eine tragende Rolle übernehmen.

Gesagt, getan. Nicht ganz überraschend war die Tomate auch nach dem Einkauf noch dort, wo sie vorher gewesen war. Also ab damit auf den Drahtesel. Die Rückfahrt wurde zwar etwas unbequem, schließlich wollte ich die fruchtende Fracht nicht mit dem Allwertesten zerquetschen, aber sie kam am Ende doch heile Zuhause an. Nach einer gründlichen Notwasserung sah die Pflanze dann auch schon wieder aus wie eine Tomate.



Habitus und Blattstellung lassen erahnen, dass das eine waschechte Balkontomate ist, eine Sorte also, die nicht meterhoch wird, schön kompakt bleibt und deutlich zahmer ist als mein wildes Wuchergemüse. Die Gerettete bewahrt stets Haltung und neigt nicht dazu, herumstehendes Gartengerät anzuspringen (siehe Rasenmäher).

Hoffnungsträger der Saison

Daher reifte mit der letzten grünen Tomatenfrucht an dem geretteten Strauch der Plan, Samen aufzubewahren für die nächste Saison. Das löst zwar meine Platznot in keinster Weise, denn auf die sagenhaft fruchtbaren Wildtomaten möchte ich trotzdem nicht verzichten, aber das ist ein Problem, das sich getrost auf das nächste Jahr verschieben lässt. Kommt Zeit, kommen Tomaten, manchmal auch ganz unverhofft.