Donnerstag, 30. Mai 2013

Hängende Gärten

Warum bitteschön sollte man auf der Terrasse Gemüse anbauen, wenn man doch einen Garten mit Bodenhaftung hat? Zum Beispiel wenn man so wie ich keiner Staude lange widerstehen kann, die im mit großen Plänen für Gemüse vorbehaltenen Beet gekeimt hat und mich mit ihren großen Kindchenschema-Keimblättern so flehend anschaut, dass ich sie doch wachsen lasse. Woanders wäre doch auch gar kein Platz für sie, denn dort wuchern bereits andere Stauden. Bald ist also alles voll mit Akeleien, Storchschnabel oder Frauenmantel, nur weil man nicht unbarmherzig zum Pflanzennachwuchs sein möchte.

Und so kommt es dann, dass nur noch die Terrasse als letzte Bastion übrig bleibt, die man noch mit Essbarem ausstatten kann. In echter Bodenhaltung können sich dagegen bestenfalls ausdauernde Genüsse behaupten, wie Wald-Erdbeeren oder Topinambur. Nur der Sitzplatz am Haus aber widersetzt sich bisher standhaft jeder ernsthaften Besiedlung durch Stauden oder Sträucher. Nicht, dass sie es nicht versuchen würden. Der Platz an der warmen Hauswand jedenfalls ist das Reich der wärmeliebenden oder wasserscheuen Vertreter unter dem Küchenpersonal: Hier stehen Tomatenpflanzen im Kübel zusammen mit Chilis, daneben wachsen Kartoffeln im Reissack. Neuerdings versuche ich mich sogar im Anbau von Zuckererbsen und Roter Beete.

Natürlich gibt es auch triftigere und weniger willensschwache Gründe für einen mobilen Gemüsegarten. Kontaminiertes städtisches Erdreich von zweifelhaften Ruf zum Beispiel, welches das Wort Mutterboden nicht verdient hat. Warum auch immer man im Bodenlosen gärtnert, es braucht so einige Tricks, um möglichst viel Köstliches unterzubringen. Um noch mehr darüber zu erfahren, habe ich das "Handbuch Bio-Balkongarten" von Andrea Heistinger und Arche Noah aus dem Ulmer-Verlag gelesen.
 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Titel hält nicht, was er verspricht - im positiven Sinne. Hier geht es nicht nur um Balkone mit ein bisschen Schnittlauch im Blumenkasten. Hier geht es um das ganz Große: Das urbane Gärtnern mit allen Problemen und Fallstricken, die es so mit sich bringt - und möglichst noch mit wenig Geld.

Das Buch beschreibt die Widersacher eines jeden städtischen Gemüsefreundes, als da wären Wind, zu hohe Temperaturen inmitten von Beton, eingangs erwähnte dubiose Böden und leicht zu überfordende Statik von Balkonen und Dachterrassen. Welche Pflanzen, welche Materialien lassen sich an exponierten Standorten unterbringen? Woher bekommt man in der Stadt ohne Auto genug Blumenerde? Und wie mischt man sich selbst welche? Es gibt unglaublich viele Tipps zum Verwenden von Recycling-Materialien, sei es als Rankgerüst oder Pflanzgefäß. Die Vor- und Nachteile der Behälter werden ausführlich erläutert. Auch der Stoffkreislauf wird besprochen: Wie kompostiert man auf einem Balkon, wie sammelt man reichlich Regenwasser, und wie bewässert man seine Schätze im Urlaub?


Nachdem der erste Teil mit Theorie besprochen wurde, werden im Mittelteil urbane Gartenprojekte vorgestellt, unter anderem auch das wohl bekannteste in Deutschland: Die Prinzessinnengärten in Berlin (von dort stammen auch die Fotos hier).

Der dritte Teil ist den Pflanzen vorbehalten. Es gibt ausführliche Portraits von geeignetem Gemüse, Obst und Kräutern. Geradezu revolutionär ist die Empfehlung zum jeweiligen Lieblingspflanzgefäß einer jeden Pflanze: Fühlt sie sich im handelsüblichen Balkonkasten wohl oder braucht sie doch lieber viel Auslauf im geräumigen Hochbeet?

Immer wieder kommen die Leser zu Wort und dürfen Tipps und Erfahrungen weitergegen, die allesamt nützlich sind und von einigem Einfallsreichtum zeugen.

Wer ein oberflächliches Buch mit durchgestylten Fotos von lediglich dekorativen Balkonen und Terrassen sehen möchte, der sollte ein anderes Werk zur Hand nehmen. In diesem Buch ist nichts geschönt, aber alles praktisch und lehrreich. Was zählt, ist der Ertrag, weniger die Ästhetik. Dieser Band ist ein Muss für jeden urbanen Gemüsegärtner, ob Einsteiger oder schon fortgeschritten. Und wer schon wirklich alles weiß über das Gärtnern in Kisten, der kann seine Tipps an die Autorin weitergeben, das ist doch auch was.

Montag, 27. Mai 2013

Die ungleichen Zwillinge

Man sollte meinen, dass man in einem so kleinen Garten wie dem meinigen mit jeder Pflanze per Du ist, sogar mit dem Unkraut. Stimmt auch meistens, aber es gibt auch Fälle, wo ich aufgrund der geringen Ausmaße des Reviers einfach nicht mehr den nötigen Abstand habe, um noch differenziert genug gucken zu können. Man wird betriebsblind, oder besser: beetblind. Das soll jetzt aber keine Entschuldigung sein für das peinliche Geständnis, das jetzt kommt.

Seit vor zwei Jahren meine hochgeschätzte, als winziger Sämling gepflanzte und bis dato nicht näher benannte, Strauchpfingstrose sich als Paeonia delavayi entpuppte - dunkelrot, duftend und einfach wunderschön - war für mich das Thema erledigt. Der Name der Rose war gefunden, weiter zur Tagesordnung.

Gut, sie hatte zwei Stämme, aber ich hatte angenommen, das zweite Ros' wäre demselben Wurzelstock entsprungen. Den kleinen Unterschied bemerkte ich nicht: Der Zweig mit den roten Knospen schaute immer ein wenig deprimiert drein, ließ Blatt und Blüten hängen und schien insgesamt ein erdverbundener Zeitgenosse zu sein. Der Habitus der blühenden Pflanze wirkte stets etwas rotweinselig, um nicht zu sagen trübsinnig. Dazu passte auch die Blütenfarbe von geradezu schwermütigem Dunkelrot.



Ganz anders der zweite hölzerne Stiel: Wie ein Trichter steckte er die geweihartigen Blätter nach oben, als wollte er alles Licht der Welt einsammeln und nur für sich behalten. Ihn zeichnete eine durchaus positive Lebenseinstellung aus und ein sonniges Gemüt. Auch, dass er noch nie geblüht hatte, blieb mir durch die Nähe zur P. delavayi verborgen. Aber bis auf diese Kleinigkeiten gab es bislang keinen Grund, an der physischen Integrität dieses Strauches zu zweifeln. Vielleicht hatte die eine Seite einfach nur eine andere Frisur oder war auf eine Dünger-Ader im Boden gestoßen.

So dachte ich, bis ich neulich routinemäßig und im Vorbeischlendern die nickenden, roten Kugelknospen bewunderte und mein flüchtiger Blick ganz oben auf dem zweiten, größeren Stämmchen einen dicken, gelben Ball streifte. Gelb, dachte ich beiläufig und wollte mich schon umdrehen, als ich stutzte. Gelb. Gelb? Ganz helle Blüten, ich sah eindeutig nicht Rot! Nun traue ich selbst Paeonia delavayi weder unter Drogeneinfluss noch bei Gewitter einen spontanen Farbwechsel von Rot nach Gelb zu. Ich denke auch nicht, dass hier ein politischer Umschwung stattgefunden hat mit einer gelben Splitterpartei als Ergebnis. Der normale Weg der Blütenfarbe geht immer über Grün nach Rot, nicht über Gelb. Gelb ist nicht ihre Farbe.

Was war passiert? Ein Wunder? Eine Sprossmutation? War ich jetzt reich? Alles wichtige Fragen, vor allem letztere, aber vermutlich war es doch viel profaner: Was ich da jahrelang als einen einzigen Strauch betrachtet hatte, waren in Wahrheit zwei verschiedene Persönlichkeiten. Keine eineiigen Zwillinge und schon gar keine siamesischen, aber mittlerweile ebenso untrennbar. Nun passte alles zusammen: Von der so ganz anderen Körperhaltung bis zur allgemeinen Weltanschauung waren das eindeutig zwei Arten Strauchpfingstrosen. Die neu erblühte musste eine Paeonia ludlowii sein, die gelbe. Daher auch ihr durch und durch sonniges Gemüt. Die beiden so eng zusammen sehen nun dummerweise aus wie die klassische Ampelkoalition - und widersprechen sich auch genauso oft - farblich nicht gerade dezent, muss man sagen.


Nachdem das geklärt wäre, bleibt mir nur noch der heiße Tipp: Wo immer ihr eines Sämlings unter einer Strauchpfingstrose ansichtig werdet, greift beherzt zu und erlöst ihn aus seinem Schattendasein unter der Mutterpflanze. Wer selbst aussäen möchte, sollte Samen von P. delavayi sammeln, die keimt leichter. Die Blüten riechen auch besser, finde ich. Diese robusten, krankheitsfreien und winterharten Gehölze sind zwar eine elende Geduldsprobe bis zur ersehnten ersten Duftblume, aber auch wahnsinnig spannend, Nervenkitzel inklusive. Paeonien-Babies eignen sich prima als Hochzeitsgeschenk, denn sie sind Pflanzen für's Leben. Am besten gleich ein Pärchen zum Präsent machen, vielleicht ergibt sich dann auch so eine extravagante Paarung wie in meinem Garten. Aber besser sofort weiter auseinander pflanzen, denn zusammen sind sie nicht nur stark, sondern auch sehr grell gefärbt.

Sämling


Jedenfalls ist es doch nett, wenn der kleinste Garten immer noch solche Überraschungen bereit hält, mit denen man gar nicht gerechnet hatte.

Montag, 20. Mai 2013

Verdammt schöner Storchschnabel

Manche Stauden haben einen selten blöden Namen. Da wäre zum Beispiel der Braune Storchschnabel (Geranium phaeum). Poetisch klingt das ja nun nicht gerade, und schon gar nicht so, als müsste man die Pflanze unbedingt im Garten haben. Schlimmer hat es wohl nur noch sein Verwandter, der Stinkende Storchschnabel (Geranium robertianum), getroffen. Nun gilt der wiederum als Unkraut, so dass viele Gärtner sagen werden, dass er den Namen ganz zu Recht hat, schließlich sei mit dem kein Staat zu machen. Dabei ist der eigentlich auch ganz hübsch.

Der Braune Storchschnabel ist wiederum so schön, dass er nun wirklich was Besseres verdient hätte. Fast möchte man glauben, er wäre benannt worden, als alle anderen Geranium schon klangvolle Bezeichnungen hatten. Es war vielleicht schon spät geworden und im Zwielicht des Mai-Abends sahen seine Blüten mit zusammengekniffenen Augen irgendwie braun aus. Schon hatte er seinen Namen weg. Nun sind seine Blüten wirklich sehr dunkel, das muss man ja sagen. Trotzdem sind sie eher lila. Ich schlage daher andere Namen vor. Wie wäre es zum Beispiel mit "Verdammt schöner Storchschnabel" oder "Unverzichtbarer Storchschnabel"?

Zu seinem Glück haben wenigstens die Sorten etwas nettere Namen abbekommen: Da wäre zum einen die starkwüchsige Variante "Lily Lovell". Dann hätten wir da noch "Joan Baker", "Margret Wilson", und "Rose Madder". Alles hübsche Frauennamen also. Die eher männlichen Vertreter hören auf Bezeichnungen wie "Stillingfleet Ghost", "Saturn" oder "Samobor".

Die beiden letzteren, "Saturn" und "Samobor", zeichnen sich durch eine attraktive dunkle Zeichnung auf den Blättern aus, wie frisch aus dem Tattoo-Studio. Und die ist jetzt tatsächlich und wahrhaftig braun!



Auch die einfache grünlaubige Naturform ist schön. An einem halbschattigen Standort machen alle Varietäten immer eine gute Figur, sind auch nach einem Platzregen standfest und eine exzellente Bienen-, aber keine Schneckenweide. Egal, welche Farbe das Blatt hat, die wilden Kerle säen sich mit Begeisterung überall aus. Von Geranium phaeum muss man also nur eine einzige Starterpflanze kaufen oder sich schenken lassen, und schon kann der Spaß losgehen. Fortpflanzung scheint sogar so ein wichtiger Punkt auf ihrer Agenda zu sein, dass die Sämlinge oft bereits im nächsten oder übernächsten Jahr blühen.


Das eigentlich Erstaunliche aber ist, dass die Sämlinge der braunlaubigen Vertreter wieder eine mehr oder weniger ähnliche Blattzeichnung aufweisen können wie ihre Eltern. Mal sind es nur dunkle Punkte, mal das ganze Programm. Selbst an einer einzigen Pflanze kann die Zeichnung variieren. Mein Garten hat das jetzt mehrere Jahre lang geübt und zeigt mittlerweile an allen möglichen und unmöglichen Stellen grün-braune Blätter. Selbst im Rasen wird gekeimt, was das Zeug hält.


Jetzt warte ich noch sehnsüchtig darauf, dass vielleicht mal einer der Sämlinge seinen Namen vergisst und in Weiß blüht. Zu kaufen gibt es so eine Sorte nämlich schon, allerdings mit rein grünen Blättern - sie heißt nicht ganz überraschend Geranium phaeum 'Album'. Braun ist an der nun gar nichts mehr.

Wäre das nicht was Feines - ein braungefleckter Nachkomme von Samobor mit reinweißer Blüte in meinem Garten? Ich würde der neuen Kreation auch einen ganz wunderbaren Namen geben, versprochen!

Mittwoch, 15. Mai 2013

Der unbezahlbare Garten

Dass Reisen bildet, ist weithin bekannt. Dass man aber auch was lernen kann, wenn man seine letzten Britischen Pfund vor der Abreise noch schnell auf den Kopp haut und die Rest-Devisen großzügig in englische Gartenzeitschriften investiert, gehört schon weniger zum allgemeinen Gedankengut.

Zunächst einmal lernt man natürlich etliche neue Vokabeln, die damals nicht auf dem Lehrplan standen. Praktischerweise sind solche Hefte ja großzügig bebildert, so dass man schnell darauf kommt, welche Pflanze sich denn zum Beispiel hinter dem seltsamen Wort Leek verbirgt (Porree). Dann macht man auch auf der nächsten Reise nicht so ein dummes Gesicht beim Studieren der Speisekarte. Denn die britische Küche hat viel mehr zu bieten als Fish and Chips.

Dass vielen Engländern (und überhaupt Europäern) aber trotzdem noch viel entgeht, wenn es um Lebensmittel aus dem eigenen Garten geht, das findet Mark Diacono und hat ein Buch darüber geschrieben: "A Taste of the Unexpected".  Ich habe es in einer der importierten Zeitschriften entdeckt auf einer Seite mit Buchempfehlungen. Auf diese Gartenliteratur wäre ich ohne Auslandseinsatz im Leben nicht gekommen.

Dort geht es um Früchte und Gemüse, die man selten im Garten anbaut. Der Autor vertritt die Meinung, dass man lieber Essbares kultivieren sollte, das wenigstens eines der folgenden Kriterien erfüllt:

  • Es ist für alles Geld der Welt nicht im Laden zu finden (Maulbeeren, Mispeln, Gewürzstrauch, Taglilien, Maibeere, Fuchsienfrüchte, Korallen-Ölweide etc.)
  • Es wird zwar schon dann und wann feilgeboten, aber nicht zum optimalen Zeitpunkt geerntet, weil die Banane beim Kunden reifen soll. Solche Früchte schmecken dann lange nicht so gut wie sie könnten (Pfirsiche, Aprikosen, Walnüsse und andere)
  • Wenn es das Produkt zu kaufen gibt, dann zu gesalzenen Preisen (Szechuan-Pfeffer, Maronen, Artischocken, Spargel usw.)

Der Weg zum unbezahlbaren Garten wird in Form von Pflanzenportraits vorgezeichnet.

Essbar: Taglilie und  Japanische Weinbeere (Rubus phoenicolasius)




Mark Diacono möchte den Leser ermutigen, statt Allerweltsgemüse anzupflanzen auch mal über den Tellerrand zu schauen und richtige Schätze in den Garten zu holen. Die Rezepte gibt es gleich dazu, so dass man hier einen Hybriden aus Garten- und Kochbuch in der Hand hält. Bilder könnten für meinen Geschmack mehr enthalten sein, aber der Autor schreibt so nett und kenntnisreich, dass man ihm das Berichtete abnimmt und ihm voll und ganz vertraut. Außerdem hat er alle seine Pflanzen sogar selbst fotografiert.


Nicht jede Frucht und jedes Gemüse ist wirklich neu, manches ist nur in Vergessenheit geraten (zumindest in England), zum Beispiel Rhabarber, Topinambur, Liebstöckel oder Quitte. Immerhin kultiviere ich sogar bereits einige der unerwarteten Geschmäcker, als da wären Rhabarber, Kapuzinerkresse, Wald-Erdbeere, Taglilie und Topinambur. Es ließen sich aber doch viele Pflanzen finden, von denen ich bisher wenig bis gar nichts gehört hatte, wie Szechuan-Pfeffer, Korallen-Ölweide (Autumn Olive) oder Yakon.

Kulturanleitungen werden gleich mitgeliefert, mit Sortenempfehlungen für wenig Platz oder frostigere Gegenden, so dass die gelisteten Pflanzen nicht nur für Süd-England geeignet sind.


Ich werde zwar nach der Lektüre nicht aufhören, Tomaten anzubauen - das will Herr Diacono auch gar nicht erreichen - aber das Buch hat mich so fasziniert, dass ich bei Neuanschaffungen nun genau überlegen werde, ob es nicht eine essbare Pflanze mit Seltenheitswert sein darf.

Also, deutsche Verlage - wo sind eure Beiträge zum Thema ungewöhnliche Speisen im eigenen Garten? Falls es noch kein vergleichbares Buch gibt, biete ich mich hiermit als Versuchskaninchen an. Lediglich ein paar Quadratmeter Land müssten gefunden werden, innenstadtnah mit guter Verkehrsanbindung. Zusätzlich würde ich in türkischen, bulgarischen und kasachischen Gärten auf Entdeckungsreise gehen, um fremde Pflanzen, Anbaumethoden und Rezepte zu erforschen. Dann teste ich liebend gerne eigene Maulbeer-Marmelade oder - wenn's schnell gehen soll - auch Fuchsien-Pfannkuchen und was die Multi-Kulti-Großstadt so hergibt!

Denn was ist spannender, als in fremde Gärten und Kochtöpfe zu schauen?

Freitag, 10. Mai 2013

Sitzenbleiber

Es gibt Stauden, die kann man nicht umpflanzen. Man kann es gerne versuchen, aber was meistens dabei herauskommt, ist, dass man die Pflanze anschließend an zwei Stellen hat. Lässt die Aktion Wurzelreste zurück - und das ist sehr wahrscheinlich - bleibt die Staude einfach sitzen und treibt am alten Standort wieder aus. Da ist sie dann stur, denn was man hat, das hat man - warum sollte man einen Spitzen-Platz für geringeres Grün räumen?

Ein solcher Vertreter dieser ganze hartnäckigen Fraktion ist das Kaukasus-Vergissmeinnicht (Brunnera macrophylla). Dieses Gewächs hat den Namen Standorttreue erfunden!

Manchmal glaube ich, es legt es darauf an, dass der Gärtner es umpflanzt, damit es sich noch weiter im Garten verbreiten kann. Es macht sich an Wegrändern extra schlabberig, hängt in der Gegend herum und bedrängt absichtlich seine Nachbarn mehr als Not tun würde. Wir greifen ein und zum Spaten, pflanzen das blaue Wunder um - und mir nichts, dir nichts, haben wir zwei von der Sorte. Dabei setzt es sowieso schon alles daran, in möglichst vielen schattigeren Beeten Präsenz zu zeigen, indem es sich reichlich versamt. Meine Pflanzen sind auch alle vom Nachbarn über die grüne Grenze hinweg eingewandert, ohne dass ich auch nur eine hätte kaufen müssen.

Also keine Angst vor dem Teilen dieser robusten Staude, da kann kaum was schief gehen. Vermutlich könnte man sie sogar verkehrt herum wieder einpflanzen und trotzdem würde das was. Rhizomstücke der panaschierten Sorten verlieren allerdings oft ihre Extravaganz, besinnen sich auf ihre Wurzeln und treiben nur noch gewöhnlich grün aus.


Jetzt im Frühling können wir den kleinen Sternchenblüten in himmelblau aber sowieso nichts krumm nehmen. Man vermisst um diese Jahreszeit noch nicht mal die schönen Sorten mit dem exaltierten Laub, wie beispielsweise 'Jack Frost' oder 'Hadspen Cream'. Auch in schlichtem Grün ist die Staude eine Schau, wenn sie blüht. Lästig wird die nie, auch nicht durch expansive Selbstaussaat. Ihre herzförmigen Blätter bleiben lange attraktiv, vor allem, weil sie nahezu schneckensicher ist. Wunderschön scheinen die blauen Blüten über allem erhaben zu sein.
Kombinieren kann man das Raublattgewächs im lichten Schatten mit anderen Stauden des Gehölzrandes. Nett ist auch ein Zusammenleben mit dem kleineren, zweijährigen Vergissmeinnicht, das ja eine ganz ähnliche Blüte hat - so ein Arrangement sieht dann aus wie Gullivers Reisen.



Ein ganz besonderer Knaller ist die Vergesellschaftung mit weißem Tränenden Herz (Dicentra spectabilis). Dieses wiederum lässt sich deutlich schlechter vermehren. Brunnera wird es zwar zu Lebzeiten nicht in den Schatten stellen, aber in Sachen Robustheit, Langlebigkeit und Vervielfältigungsrate ist das Kaukasus-Vergissmeinnicht ihm weit voraus. In trockenen Sommern sollte man allerdings immer mal ein Auge und etwas Wasser auf die Staude werfen, dann kann es schon durstig werden.
Also, wer will noch mal, wer hat noch nicht? Das kecke Kaukasus-Vergissmeinnicht muss man einfach haben! Vielleicht hat der Nachbar eines übrig? Wenn er weiß, dass es am selben Standort wieder austreibt, gibt er es auch viel lieber her. Früher oder später kommt es sowieso wieder zu ihm zurück, wetten?

Samstag, 4. Mai 2013

Eis am Stiel

Was ist bloß mit den Eiscreme-Sorten los? Vorbei sind die Zeiten, als es in der Tiefkühltruhe einfarbig zuging und die gängigen Sorten sich in etwa auf Schokolade, Vanille und Erdbeere beschränkten. Da stach Walnuss-Eis schon fast als etwas richtig Ausgeflipptes heraus. Mittlerweile übertrumpfen sich die Hersteller, was Farbzusammenstellung, Namen und Zutaten angeht. Längst ist nicht mehr nur ewiges Eis in der Packung, sondern es finden sich auch des Öfteren wenig bis gar nicht zartschmelzende Dinge darin - von Keksstücken über dragierte Schokolode bis hin zu Zucker-Herzen ist alles dabei, was kein Eis ist. Anhand der Bezeichnungen findet man auch nur noch selten heraus, wonach der Inhalt schmecken wird ("Safari" zum Beispiel stelle ich mir eher gräsern vor). Zu frischem Obst passendes, schnödes Vanilleeis aber ist nur noch in den Randgebieten der Tiefkültruhen zu entdecken.

Dieses Jahr folgen sogar meine Tulpen diesem Trend und kommen in Eiscremefarben à la Kirsche-Vanille-Pistazie daher - mit den tulpeneigenen schwarzen Stückchen im Inneren, den Staubgefäßen. Nun ist das für Tulipa aber nichts Neues. Gestreifte, mehrfarbige Sorten gab es schon vor Hunderten von Jahren. Damals waren es oft Viren, die diese Vielfarbigkeit auslösten, heute ist es Absicht.

Meine langjährigen Paradepferde mit den einfarbig gelben und roten Blüten haben nun Gesellschaft bekommen von extravaganten Prinzessinnen im Tüllröckchen. Das kam daher, dass letztes Jahr wie immer im botanischen Garten die Tulpenbeete nach der Blüte dem Erdboden gleichgemacht wurden. Nur war ich dieses Mal gerade zur rechten Zeit dort, um die edlen Damen aus der großen grünen Müll-Mulde zu erretten. Sie sahen schon etwas de-rangiert, aber immer noch adelig aus. Ich war zwar nicht zu Pferd da, aber immerhin mit dem Drahtesel, so dass die Rettungsaktion mehr oder minder standesgemäß vollzogen werden konnte. Wenn auch nicht gerade elegant, denn ich musste mich schon ziemlich weit in die Mulde hinein lehnen, um an das begehrte Zwiebelvolk zu gelangen. 

Zu Hause durften die Pflanzen erst einmal in Ruhe einziehen, dann wurden sie trocken zwischengelagert, um im September in meine Beete Einzug zu halten.

Die Ausbeute dieses Frühjahr ist auch wirklich ein sonderlich Spektakel, das ich mir von den Second-Hand-Tulpen gar nicht zu erträumen gewagt hatte.

Darunter ist eine gefüllte lila-bläulich-grüne Schönheit mit himmelblauem Lidschatten - wirklich sensationell! Dieses eitle Geschöpf scheint alledings vor lauter Pomp keinen Platz mehr zu haben für Pollenpakete:

Die Mehrheit sind aber fabelhafte Eiscreme-Blüten mit zarten Streifen - auch gefüllt, aber immerhin mit Staubgefäßen. Manchmal verfärben sich sogar Laubblätter rötlich - soviel körperlichen Einsatz hatte ich den Tulpen gar nicht zugetraut.

Nun wird der geneigte Leser anmerken, dass gefüllte Blüten nicht so das Wahre sind, wenn man in seinem Garten auch die sechsbeinige Fauna gastronomisch unterhalten möchte. Dazu sei gesagt, dass die hohen Tulpen in keiner Form sonderlich beliebt sind bei Bienen. Trotz plakativem Show-Effekt - und für mein ungeschultes Auge gut bestückten Staubgefäßen -  geht der Blütenkelch an den Bestäubern meist vorbei.

Diese Eis-am-Stiel-Tulpe allerdings zeigte Spuren von Insektenbesuch, der sich prompt vor laufender Kamera noch einmal in die Tiefen der Blüte stürzte. Also ist wohl doch nicht Hopfen und Malz verloren bei den langstieligen Diven.

Auch andere finden Gefallen an den Damen, aber eine Ebene tiefer:


Meinen Staudenbeeten jedenfalls stehen die Eiscremefarben außerordentlich gut. Sie sind das I-Tüpfelchen mit Blütenstiel, einfach zum Dahinschmelzen.

Und so hoffe ich natürlich, dass wir uns nächstes Jahr alle gesund und munter im Garten wiedersehen werden - die eitle Lidschatten-Tulpe genauso wie die appetitlich gestreiften. Warum nur habe ich dieses Frühjahr ständig Hunger auf Vanille-Eis mit heißen Kirschen, wenn's geht am Stiel?

Mittwoch, 1. Mai 2013

Multikulti im Staudenbeet - die Auflösung

Was bisher geschah: Letzte Woche stellte ich folgende raublättrige Rätselpflanze vor:

Heute wird nun die Identität dieser borstigen Schattenstaude gelüftet. Den lateinischen Namen sollte man sich auch gut merken, denn mit dem kann man bei jeder Scrabble-Partie abräumen. Beim Glücksrad hätte man dagegen kein leichtes Spiel, es ist kaum ein Buchstabe doppelt und man muss reichlich Vokale kaufen. Hier ist also des Rätsels Lösung:

Die Pflanze mit dem wenig attraktiven deutschen Namen Rauling heißt auf Schlau etwas sperrig Trachystemon orientalis (Boraginaceae). Die Briten nennen sie Abraham-Isaac-Jacob (wohl wegen des Farbwechsels der Blüten) oder Orientalischen Borretsch, in der Türkei wird sie Hodan oder Galdırık gerufen. Da Trachystemon ein gutes Gemüse abgibt, wenn man ihm die rauen Blätter oder Stängel weichgekocht hat, wurde er aus kulinarischen Gründen vom Balkan nach Deutschland mitgebracht und ist mancherorts ein bisschen wild geworden, allerdings nicht so flächendeckend wie andere Neophyten - man denke nur an den seuchenartigen Sachalin-Knöterich. 

Weil der Rauling sich in unseren Gefilden richtig rar macht und so unglaublich selten zu finden ist, bekommt man auch nur spärlich Informationen über ihn. Die Pflanze scheint wirklich das am besten gehütete Geheimnis der Schwarzmeer-Küche zu sein. Man sollte daher nicht glauben, dass man ihn im türkischen Imbiss serviert bekommt. Diese Pflanze ist Privatsache.


Und so war ich schon am Ende des Internets angelangt auf meiner Mission, herauszufinden, wie man die Staude zubereitet. Wenn man kein Türkisch kann, muss man eben die Bilder deuten lernen. Und so stellte sich heraus, dass es eine Variante gibt, bei der man die praktischerweise so großen Blätter als Weinblattersatz verwendet und leckere Reisfüllungen damit einrollt. Ein anderes Rezept (auf Englisch) besagt, dass man die Stängel erst kocht, dann mit Zwiebeln und Eiern in die Pfanne haut. Als nette Zugabe soll die Pflanze auch noch haufenweise Anti-Oxidantien enthalten [1] .

Da ich ein großer Freund von der Idee des Gärtnerns mit winterhartem, ausdauerndem Gemüse bin, werde ich das ausprobieren, sobald meine Pflanzen erntefähig sind.

Wer jetzt so viel Exklusivität in Küche und Garten nicht abgeneigt ist, wird sich fragen, woher man denn das Raubein bekommen kann. Da es nur in ganz wenigen erlesenen Gärtnereien überhaupt gehandelt wird, empfiehlt sich ein Spaziergang an Schrebergärten mit internationalem Flair. Das ist ja immer spannend, aber so ist es wie eine Schatzsuche.

Und so bin ich ihm auch zum ersten Mal in einem türkischen Schrebergarten begegnet - bei uns um die Ecke, wo er allen strengen Wintern zum Trotz gut gedeiht. So gut, dass er schon durch den Zaun wucherte und gerne abgehauen wäre, wenn man ihm nicht den Weg mit einem Weg abgeschnitten hätte. Die Zaungäste blühten im April und trugen im Mai Samen, ein paar habe ich für Versuchszwecke entwendet. Da auch um die Kultur von Trachystemon ein Staatsgeheimnis gemacht wird, stellte sich die Frage, ob die Saat aufgehen würde, und zwar wann. War der Gute etwa ein Frost- oder gar so ein nerviger Schwerkeimer?

War er mitnichten - leicht keimten die Samen noch im selben Sommer und entwickelten sich zu prächtigen kleinen Pflanzen, die ich im Juli an Ort und Stelle neben den Komposter setzte.

 
Ein paar zweistellige Kahlfröste und ungeduldige Monate später glänzte der angeblich so robuste Rauling durch völlige Abwesenheit. Maßlos enttäuscht wollte ich schon den Boden nach ihm durchsieben, habe dann aber doch nur vorsichtig an der Oberfläche gekratzt. Er blieb verschollen - und das Sprichwort "wie vom Erdboden verschluckt" gewann bestechende Aktualität.

Also hatte ich gleich zwei neue Dinge über ihn erfahren: Er keimt leicht, ist aber als Jungpflanze empfindlich. Vielleicht ist es erfolgversprechender, die Samen bis zum nächsten zeitigen Frühjahr aufzubewahren, um kräftigere Setzlinge in den Winter schicken zu können. Möglicherweise war es auch einfach nur Pech und eine Schutzschicht aus Stroh hätte geholfen, denn der Winter 2011/2012 war nichts für schwache Nerven: Die Staude hatte Mitte Januar schon kräftig ausgetrieben, als ihr die Kälte den Garaus machte.

Die Pflanzen am Originalstandort jedenfalls lebten noch, schwebten aber anderweitig in akuter Lebensgefahr: Der Trampelpfad entlang des türkischen Gartens sollte zu einem richtigen Weg ausgebaut werden - die Pflanzen waren im selbigen und wurden weggeworfen. Und so konnte ich die zweite Vermehrungsstrategie testen: Teilung älterer Stauden. Die dicken Rhizome setzte ich wieder in das schattige Bermudadreieck aus Komposter, Kletterrose und Spiraea. Würden sie diesmal den Winter überleben?

Das mit Spannung erwartete Ergebnis zeigte sich vor ein paar Wochen: Kräftige raue Blätter in rauen Mengen, so soll das sein. Eine Blüte gab es zwar nicht, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein. Die fand stattdessen mitten in einem kleinen Wäldchen bei uns in der Nähe statt, sehr zur Freude der heimischen Hummeln. Wie der weitgereiste Trachystemon dahin gekommen ist, wird eines der Rätsel sein, die ich wohl nicht mehr lösen werde.


Zusammenfassend kann gesagt werden: Trachystemon ist eine essbare Staude für schattige Bereiche im Garten. Schnecken meiden ihn offenbar, Hummeln nicht. Die Zeit der borretschähnlichen Blüten liegt im April, danach entrollen sich die übergroßen Blätter. Ich würde dieser Staude durchaus Großes zutrauen, nämlich den Giersch in Schach zu halten. Ihr offensichtlichster Nachteil ist ihre Exklusivität. Im Baumarkt wird man sie unter Garantie nicht finden, daher Augen auf in der Nähe von Multikulti-Schrebergärten, es lohnt sich!


  1. [1] Antioxidant activity of wild edible plants in the Black Sea Region of Turkey, Tevfik Özen, Giresun University, Department of Chemistry, Faculty of Arts and Sciences, 28049 Giresun-Turkey