Arbeiten wo andere Urlaub machen! Das gelingt einem Freund von mir ganz gut, der das Renaturierungsprojekt am neuen Quellesee beim Campingpark Bielefeld mitbetreut. Der See war mal ein staubtrockener Spargel- und Erdbeeracker, doch dann wurde Sand für den Weiterbau der A33 gebraucht. Da das Gelände schön sandig ist und sich die Betreiber des Campingplatzes schon immer einen Badesee gewünscht haben, lag es nah, dass der Sand aus dem Acker kommt und die entstandene Grube mit Regenwasser "geflutet" wird. Zurück zur Natur ist das Motto!
Nun ist es soweit und es darf gebadet werden! Der Zutritt zum See ist allerdings zahlenden Gästen des Campingplatzes vorbehalten und sie dürfen nur bis zu einer Bojenabsperrung schwimmen, um auch der Natur genug Erholung zu gönnen. Disteln werden geduldet, als biologisch abbaubarer Stacheldraht, der die Besucherströme auf natürliche Weise lenkt - alles also irgendwie auch wie ein großer Garten, wo man lenkend eingreift. Hier die Nickende Distel:
Letzten Samstag durfte ich mitkommen zum Pflegeeinsatz und mal schauen, was auf den Sandflächen so los ist an sechsbeinigen Campinggästen. Ein bisschen habe ich mitgeholfen, Birkenschößlinge herauszurupfen, denn das Gelände soll offen bleiben und kein Wald werden. Die Birken, Pappeln und Weiden sind natürlich anderer Meinung und geben sich alle Mühe den Sand eilig zu begrünen.
Eilig haben es auch die Dünen-Sandlaufkäfer, die über die Wege und Sandflächen flitzen. Wer die gemütlichen großen Laufkäfer gewohnt ist, wird überrascht sein, denn Sandlaufkäfer sind gut zu Fuß und fliegen behende auf, wenn man ihnen zu nahe kommt. Rund um den See waren so viele von ihnen, dass man bei jedem Schritt eine kleine Wolke vor sich hertrieb. Sogar an den Abbruchkanten versuchten sie sich im Freeclimbing.
Sandlaufkäfer leben als Larve und als Käfer räuberisch und fangen Insekten im Laufschritt bzw. als Larve aus ihrer Wohnröhre im Boden heraus. Und so ist es schwer, sie zu fotografieren. Auf dem harten steinigen Weg zu knien für ein Sandlaufkäfer-Portrait war eine Qual, leichter ging es bei paarungswilligen Tieren, denn im Doppelpack sind sie deutlich träger.
Chheeeeeeese:
Die Trendfarbe am See um diese Zeit ist gelb: Das Jakobs-Greiskraut (Senecio jacobaea) blüht überall und zieht Schmetterlinge, Schwebfliegen und Bienen an.
Der Kleine Feuerfalter findet man See Sauerampferpflanzen, an die er seine Eier ablegen kann. Freien Erdboden gibt es auch reichlich, so wie er es mag.
Die tigerentenbunten Raupen des Blutbärs geben sich Mühe, das Jakobs-Greiskraut etwas einzudämmen.
Gelbe Blüten steuert auch der Rainfarn bei, wo sich Seidenbienen finden.
Wenn man ganz genau hinschaut, wer da so auf dem Boden herumwuselt, findet man sogar ihren Parasiten, die Filzbiene.
Die nicht-heimische Goldrute, die auch schön gelb blüht, wird hier rigoros entfernt.
Sogar richtig wilde Tiere im Raubtierlook gibt es - zum einen Tigerschnegel, zum anderen tigerartig gestreifte Wespenspinnen.
Plötzlich stach uns etwas Blaues ins Auge - na nu, was war das denn für eine hübsche Pflanze oben am Hang mit Blüten auf mehreren Etagen? Sieht aus wie Minze, aber ohne minzigen Duft - das ist die seltene Polei-Minze (Mentha pulegium), die sich hier von selbst angesiedelt hat, was toll ist.
Interessanterweise wächst und gedeiht der Gewöhnliche Hornklee (Lotus corniculatus) besser am Wasser als auf den Freiflächen. Hier finden sich Hauhechel-Bläulinge und Große Wollbienen ein, die nicht wasserscheu sein dürfen.
Der Blut-Weiderich macht, was er immer macht: Er baut nah am Wasser und wird dabei ganz rot:
Wir haben auch Tausendgüldenkraut (die meisten bereits verblüht) und Echten Eibisch (noch nicht blühend) gefunden. Nachtkerzen finden sich ebenfalls reichlich, da sie als typische Pionierpflanzen freien Boden sofort annektieren.
Auf dem Gelände wurden Teiche für Amphibien angelegt. Reptilien, Wiesel und andere Tiere, die es gern trocken haben, finden Unterschlupf in Ast- und Steinhaufen, unter Baumstümpfen und in Totholzhecken. Alles Elemente, die man auch im Garten nachbauen kann.
Ich bin gespannt, wie sich das Gelände entwickeln wird und welche Tiere sich noch einfinden werden - Uferschwalben? Vielleicht darf ich ja noch einmal mitkommen.
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Dann möchte ich heute noch ein Buch vorstellen, das einen wahren Kontrast darstellt zum wilden Sandgebiet, wo ein Gemüseacker umgewandelt wurde in Natur. Vom Baggersee in die Grüne Lunge Frankfurts mit den GemüseheldInnen: Urban Farming von Juliane Ranck, Laura Setzer:
Kater Kato fand das Buch allerdings einschläfernd, aber Katzen sind auch selten Leseratten: 😉
In diesem bunten Buch wird beschrieben, wie die verwilderten und vermüllten Gärten in Frankfurts Grüner Lunge (ein Grünzug, der ursprünglich sogar bebaut werden sollte, aber jetzt doch erhalten bleibt) zum Gemüseanbau hergerichtet wurden im Sinne der Permakultur. Auf die sonst üblichen Hochbeete würde weitgehend verzichtet, da offener Gartenboden genutzt werden kann. Die Erträge können sich sehen lassen, obwohl in vielen Gärten Schatten durch angrenzende Baumgruppen vorherrscht.
Wer selbst ein städtisches Projekt anstrebt und solche Gemeinschaftsgärtern planen möchte, ist mit diesem Buch gut beraten, denn von zwischenmenschlichen Dingen und Arbeitsteilung bis hin zum Beschaffen von Geldern oder Kompost wird alles erklärt. Der Leser ist gleich per Du und lernt die GemüseheldInnen in Wort und Bild kennen, das schafft Vertrauen. Nett fand ich auch, dass von den Anfängerfehlern berichtet wurde. Ein Buch über Permakultur kann es aber nicht ersetzen.
Vielleicht finden sich bald noch mehr Permakulturgärten in deutschen Großstädten?