Es gibt die Blume des Jahres, den Vogel des Jahres und den Baum des Jahres. Aber gibt es auch das Unkraut des Jahres? Falls nicht, dann helfe ich gern aus und nominiere meinen persönlichen Wucher-Albtraum 2016: Die Echte Zaunwinde (Calystegia sepium). Die hat es dieses Jahr nämlich faustdick hinter den grünen Ohren. Meist verhält sie sich relativ unauffällig, versucht hier und da den Aufstieg in die sonnigen Gefilde des Gartens, lässt sich mit ein bisschen Rupfen aber in die Schranken weisen.
Dieses Jahr aber raubt sie mir den letzten Nerv, und ich denke, viele von ihr belagerte Pflanzen können da zustimmen. So ungestüm war die staudige Kletterpflanze noch nie. Jede noch so kleine Staude erklimmt sie oder ringt sie in ihrem Würgegriff gleich zu Boden. Die Rosen bieten eine willkommene Kletterhilfe, wo die Zaunwinde rasch obenauf ist und in die Welt hinaus trompetet, dass sie wieder einmal der König der Welt ist. Oben angekommen lässt sie sich dann hängen.
Selbst zum Festhalten an anderen Wildkräutern ist sie sich nicht zu fein und verbrennt sich auch an Brennnesseln allzu gern die Finger oder holt sich an stachligen Karden eine Akupunktur-Behandlung ab.
Auch in fremden Gärten, am Straßenrand, in Hecken und sogar beim Kanufahren am Flussufer verfolgt sie mich dieses Jahr in rauen Mengen - die ist wirklich mit allen Wassern gewaschen.
Dabei muss man ihr eins lassen: Frau Zaunwinde hat Stil. Die weißen Blüten sind die Wucht in Tüten, riesige weiße Trichter, manchmal sogar in wunderschönem Rosa gehalten. Hummeln mögen sie gern.
Überkommt den Gärtner also sowieso gerade die sommerliche Trägheit, ist man dem Windentum recht wohlgesonnen, immerhin ist es ja so hübsch. Und wer könnte sonst aus tiefstem Schatten heraus der Wildrose zu einer kostenlosen zweiten Blüte verhelfen? Versucht man so etwas mit Absicht, etwa mit einer einjährigen Prunkwinde oder der Schwarzäugigen Susanne, wird man sich kläglich scheitern sehen, denn diese Kletterpflanzen schaffen es meist nicht, im Dunstkreis kapitaler, den Himmel verdunkelnder Sträucher groß zu werden.
Die Zaunwinde kann über diese Anfänger nur lachen. Die hat Reserven, schließlich ist sie eine völlig winterharte Staude. Aus ihrem Rhizom schöpft sie so lange Kraft, bis sie das Ende der Fahnenstange erreicht hat und ihre Blüten und Blätter hübsch in die Sonne halten kann. Sie tunnelt ihre Ranken sogar am Boden unter anderem Bewuchs hindurch.
Wenn sie doch nur wenigstens in der Wildrose bleiben würde, dann hätten wir einen Deal. Doch leider ist sie nicht verhandlungsbereit und muss unbedingt noch einen drauf setzen, Ausläufer schieben und sich jede griffbereite Staude gleich mit an Land ziehen. So geht es nicht, da muss gejätet werden, da gibt es kein Pardon.
Und so werde ich wohl noch den Rest des Sommers an meinem Unkraut des Jahres festhalten - und ganz fest ziehen...