Nicht genug, dass uns die Mode jedes Jahr wieder zur kritischen Durchsicht des Kleiderschranks zwingt, jetzt macht uns auch noch die Blumenindustrie ein schlechtes Gewissen.
Der Zimmerpflanzentrend geht nämlich weg vom kleinteiligen, wuseligen Blumenfenster, hin zu riesigen Solisten, je größer, desto besser.
Okay, mit ein paar Urwaldriesen kann ich auch aufwarten, aber das Wohnzimmerfenster sieht in der Tat aus wie ein Pflanzenkindergarten auf Wandertag - hier ein Babygeldbaum, dort ein Echeverien-Kindel, dazwischen auch noch ein Blattsteckling von Sansevieria cylindrica, der natürlich schief angewachsen ist und so lustig Schlagseite hat wie nach einer durchzechten Nacht.
Über all diesem unruhigen Gewimmel thront würdevoll mit eiserner Contenance der alte Geldbaum. Die ganze bunte Bagage wird darüberhinaus flankiert von zwei Sansevieria trifasciata-Töpfen, die streng und aufrecht wie Gouvernanten über die Krabbelgruppe wachen - so wie weiland Fräulein Rottenmeyer.
(Gibt es möglicherweise ein pflanzliches Pendant zum "Animal hoarding"? Ich mache mir ernsthaft Sorgen.)
Das Ganze Durcheinander würde eventuell so eben noch der Stilpolizei entgehen, wenn die Töpfe wenigstens einheitlich aussehen würden. Tun sie aber nicht. Schnäppchen, Geschenke und Fundstücke lassen sich in den seltensten Fällen in eine Uniform zwingen.
Frau Katze würde den Trendsettern sicher von Herzen beipflichten, denn die Fensterbank ist auch für ihren Geschmack viel zu voll. Wie gerne würde sie die ganze Fläche zu ihrem Catwalk umwidmen, aber immer steht ein blöder Topf im Weg und hindert beim Fliegenfangen und Meisenbeobachten.
Übersichtlich und aufgeräumt soll sich das Wohnzimmer gefälligst präsentieren mit dezent eingestreuten pflanzlichen "Accessoires":
Szene auf der Landesgartenschau Hemer 2010
Ach, Moden und Katze hin oder her, ich habe beschlossen, das Dilemma auszusitzen.
Das kann ich sowieso am besten. Auf dem Sofa, neben meinen Pflanzenkindern.
Ist es nicht bei der Haute Couture auch so, dass sich irgendwann jeder Trend wiederholt - kaum wartet man mal 20 bis 30 Jahre?
Genauso ist es auch bei Zimmerpflanzen. Kommt alles wieder - siehe Sansevieria trifasciata, die das Comeback des 21. Jahrhunderts feiert. So unmodern ist meine Fensterbank also doch nicht, halleluja!
Die als Stilmittel gehandelten Pflanzensolitäre sind auch vor allem eines: Sauteuer!
Gerade die in Würde gealterten, langsam wachsenden Vertreter, die so richtig was hermachen, sind unbezahlbar. Nie würde man sich verzeihen, so ein kostbares Exemplar zu Tode gegossen oder einer marodierenden Horde Spinnmilben überlassen zu haben.
Günstig und überall zu haben sind der altbekannte Gummibaum, Ficus benjamini, Dracaena marginata oder Schefflera.
Beim Discounter bekommt man so ein Exemplar in der Größe 1,40 - 1,60 Meter für etwa 10 Euro.
Die sind dann aber in dieser immer noch bescheidenen Größe gleich wieder am Rande von langweilig und haben nicht das Zeug, die eigene Wohnung zum Stilolymp zu erheben.
Gefragter ist da schon die Geigenfeige, Ficus lyrata. Die ist nicht allzu teuer und wächst schnell, allerdings auch schnell über ihre Verhältnisse hinaus, so dass alsbald Folgekosten in Form eines neuen Wintergartens anstehen - oder die Schere.
Extravagant und ein echter Blickfang ist die Drachenbaum-Sippschaft, nämlich die eher selten in Wohnungen anzutreffenden Dracaena deremenis, Dracaena fragrans und Dracaena reflexa. Letztere wächst sehr langsam, wird aber im Alter gigantisch. Am ehesten zum Turbo neigt D. fragrans. Alle genannten Drachenbäume kann man ganz einfach über Stecklinge vermehren, die im Wasserglas leicht bewurzeln.
Palmen oder gar Palmfarne sind extrem angesagt, aber leider relativ teuer und überdies eher empfindlich.
Zu meiner Ehrenrettung greift möglicherweise ein altes, ausuferndes Einblatt (Spathiphyllum) ein, welches das Wohnzimmer dominiert und vehement mit seinem Blattwerk ins abendliche Fernsehprogramm eingreift.
Irgendwie wirken in letzter Zeit selbst die Nachrichten so merkwürdig tropisch.
Letzten Endes gibt es doch auch Wichtigeres, als in Sachen Zimmerpflanzen jedem Trend hinterherzueilen. Ökologisch wäre das sowieso nicht - Wegwerfmentalität lässt grüßen.
Und haben nicht auch die teuren Geldbaummethusalems aus den Hochglanz-Werbebroschüren der Blumenindustrie mal ganz klein angefangen?
Vielleicht als Blattsteckling in einem winzigen Topf, so wie meine Kindergartengruppe.