Als Kind hat man sich ganz mühsam und unter Qualen den aufrechten Gang angeeignet, nicht ohne mehrfach kräftig auf den Hosenboden zu fallen. Unsere Spezies musste noch viel länger an sich herumfeilen und die Evolution ein wenig auf sich wirken lassen, bis ihr gesamtmenschlich gesehen das Kunststück des Zweibeiners gelungen war.
Und was bitteschön macht die Unterart des Homo sapiens horticola nun um diese Jahreszeit? Rutscht auf Knien und in gebückter Haltung durch die Beete, dass es eine Schande ist für die ganze Menschheit. Oder doch nicht? Denn was der Gärtner jetzt so genau auf Bodenhöhe anschmachtet, ist schließlich auch ein zwar winziges, aber nicht unerhebliches Wunder der Natur: Das Schneeglöckchen. Dafür vernachlässigen wir Frühlingssüchtigen doch gern den aufrechten Gang.
Es wird tatsächlich immer schlimmer mit dem Herumgekrieche, denn die Leidenschaft für die kleinen Zwiebelblumen, die uns die Wartezeit auf den Frühling so überaus angenehm gestalten, ist ansteckend: Immer mehr Menschen möchten besondere Schneeglöckchen um sich scharen, die ihnen buchstäblich zu Füßen liegen sollen.
Sorten kann man mittlerweile in schwindelerregender Zahl sammeln, dazu wecken noch die weiteren, nicht-heimischen Arten, wie Galanthus elwesii, plicatus und woronowii Begehrlichkeiten. Und selbst die gibt es ja auch wieder in verschiedensten Varietäten. Noch schlimmer: Die kreuzen sich sogar manchmal untereinander.
Möchte man seine Leidenschaft für die jahreszeitlich bedingte gebückte Haltung mal versuchsweise wecken, bietet sich um diese Zeit ein Besuch des Bethmannparks in Frankfurt am Main an. Der Palmengarten verfügt zwar auch über flächendeckend staunenswerte Schneeglöckchenbestände in unterschiedlichen Arten, aber der kleine Park irgendwo zwischen Zoo und Alter Oper ist kostenlos zu besichtigen. Sortenbezeichnungen habe ich an beiden Orten nicht gefunden, was das Ganze damit zu einem detektivischen Abenteuer werden lässt.
An den Parkmauern blühen die Schneeglöckchen schön geschützt ein bisschen eher und öffnen sich sogar für die Außenwelt, auch wenn die Sonne nicht scheint. Sieht die schmollende Blüte auf dem mittleren Bild unten, die ich letztes Wochenende im Bethmannpark gefunden habe, nicht aus wie die Sorte 'Grumpy'?
Das heimische Schneeglöckchen ist in dieser Stadtoase verblüffenderweise deutlich in der Unterzahl. Stattdessen sieht man unglaublich feiste Blüten über graugrünem, breitem Laub - alles G. elwesii? Wenn man sich auf Augenhöhe mit den kleinen Blumen begibt, sieht man, dass sie alle anders aussehen. Ja, im Bethmannpark kann man ganz schnell Rückenschmerzen kriegen.
Hier unten noch ein paar Bilder aus dem Palmengarten - alle Blüten zum Niederknien schön, aber namenlos. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Frankfurt die heimliche Schneeglöckchenhauptstadt ist.
Hier unten noch ein paar Bilder aus dem Palmengarten - alle Blüten zum Niederknien schön, aber namenlos. Ich werde den Verdacht nicht los, dass Frankfurt die heimliche Schneeglöckchenhauptstadt ist.
Der kostenfrei zu besuchende Bethmannpark ist ein wirklich herrlicher Ort, um den aufrechten Gang für kurze Zeit etwas Bodenständigerem zu opfern. Bei Sonnenschein möchte man hier gar nicht mehr weg. Für Risiken und Nebenwirkungen hafte ich aber nicht - ein Besuch im ummauerten Garten geschieht ausdrücklich auf eigene Gefahr. Und diese Gefahr heißt Schneeglöckchenfieber lebenslänglich. Aber das ist es allemal wert.