Samstag, 29. Juni 2019

Durchschlagender Erfolg

Welche Pflanze ist die Stil-Ikone des Shabby Chic? Die Dachwurz natürlich, das gute alte Sempervivum. Wo haben wir sie nicht schon überall gesehen? Keine Suppenkelle, die ohne sie auskommt, wenn sie nicht mehr austeilt, sondern im Garten Karriere macht. Keine olle Bratpfanne ohne die kleine Sukkulente. Schwindelfrei ist sie in jedem Fall, und so findet man sie in vielen kleinen hängenden Gärtchen aus Trödelmaterial, ob tönerne Dachpfanne oder rostiges Schaufelblatt.


 
Sowas wollte ich auch immer mal haben, aber bisher hatte es immer nur zur bepflanzten Minigießkanne gereicht. Wo allerdings eine ziemlich dicke Matrone drin hockt und keine andere Sempervivum-Rosette neben sich duldet, eine echte Monopolstellung mit Verdrängungswettbewerb.


Ein tönernes Teesieb ist auch noch da, da passt schon mehr rein, die Löcher werden langsam von Moos bewachsen.



Letzte Woche aber habe ich den ganze großen Coup gelandet. Wir waren wieder mal in unserer Lieblings-Schrebergartenkolonie spazieren, die mit der exklusiven Hanglage und dem professionellsten Bienenhotel aller Zeiten.



Vor einer Parzelle lag ganz viel Zeug rum, vom alten Bierkrug über Spazierstöcke bis hin zu Übertöpfen aller Größen. Und auf der Hecke stand ein Schild mit den magischen zwei Wörtern: "Zum Mitnehmen".

Na, wenn das mal keine Einladung ist, her mit dem Shabby Chic!

Da stand er nämlich: Ein weißer, angerosteter Durchschlag mit dem gewissen Etwas. Der konnte doch wohl eine ganze Herde Dachwurzen beherbergen. Also habe ich ihn mitgenommen und hinten an den Rucksack montiert, weil er vermutlich vom Fahrradgepäckträger gerutscht wäre. Und eine Beule sollte er nun wirklich nicht auch noch kriegen.




Zuhause durfte er dann erstmal eine Runde in der Spülmaschine drehen. Danach glänzte das löchrige Ding richtig und der Schmuddel war ab.



Damit die Blumenerde aber nicht gleich wieder aus den Löchern herausrinnt und die weiße Weste wieder eintrübt, habe ich zunächst aus Zeitungspapier eine Schüssel geformt und sie dem Behälter angepasst. Wenn die Pflanzen ausreichend Wurzeln gebildet haben, darf sie ruhig verrottet sein.


Und dann hinein mit dem Sempervivum ins antike Vergnügen. Dazu gibt es noch einen Sämling der Ranken-Glockenblume, die schön am Durchschlag herunterhängen und blühen soll.





Als Aufpasser noch die alte Tonhenne dazu und fertig ist der Shabby Chic - we proudly present: Dachwurzen in ihrem natürlichen Lebensraum: Alten Haushaltswaren.

Samstag, 22. Juni 2019

Die Kavallerie kommt

Sie sehen aus wie kleine Drachen, ausgestattet mit einer stachligen Rüstung und einer Warntracht.



Und sie sind die Kavallerie, wenn es um die Rettung blattlausgeplagter Pflanzen geht.



Hatten die Zweige des Holunders oder des Efeus eben noch mehr Beine, als ihnen gut tun würde, sind sie nun blitzblank gefressen von den kleinen Drachen, den Larven der Marienkäfer. So eine Blattlaus ist ja auch eine sehr bequeme Fertignahrung, kann nicht schnell wegrennen und sich auch nicht wehren, einmal herzhaft zugebissen und aus die Laus.

Was da also so seltsam flügellos und stachlig mit sechs Beinen ausgestattet auf den Pflanzen sitzt, sind Nützlinge. Leider werden sie oft für die Übeltäter gehalten, wenn auch noch Löcher in den Blättern zu sehen sind. Doch weder die Blattläuse noch die Marienkäferlarven können so kraftvoll zubeißen und mögen auch gar keine Laubkost.


Sie sind also völlig unschuldig, man sollte sie auf keinen Fall mit Gift wegspritzen.

Das hier sind die Eier der Marienkäfer, immer viele auf einmal, sicher ist sicher:



Das sind Larve und Puppe:




Hier sieht man ihr getanes Werk - nur noch Essensreste kleben an den Blättern der Kugeldistel, die wirklich sehr voll mit Blattläusen war. Dazwischen immer mal die ausgezogenen Larvenhäute der Marienkäfer, denn als Larve muss man wachsen und sich deswegen turnusmäßig häuten.


Nach dem großen Gelage sind jetzt aber fast alle Läuse weggeputzt. Und so werden die sehr mobilen Käferlarven nun zur Laufkundschaft und müssen sich neue Futterquellen besorgen. Überall rennen sie rum, es ist schon ein bisschen lästig. Man muss immer aufpassen, dass man sie nicht zerdrückt, wenn sie wieder mal quer über den Gartentisch hechten.

Was hier aussieht, als würde die Larve sich als Dirigent versuchen, ist nur der verzweifelte Versuch, weiter nach oben zu klettern und dort vielleicht doch noch Beute zu finden:



"Igitt, die hat schon mal jemand gegessen...":



"Warum sind hier alle Pflanzen so blöd borstig? Dauert  ja ewig, der Aufstieg!":


Falls es noch weitere Brennpunkte an den Pflanzen gibt, kann man die Läufer aber einsammeln und auf die nächsten Opfer ansetzen.


Leider sieht man aber hauptsächlich die Larven des Asiatischen Marienkäfers (Harmonia axyridis). Die sind sehr effizient im Blattläusevertilgen, was die Pflanzen zwar auch freut, aber leider konkurrieren sie mit den heimischen Marienkäfern und verspeisen auch mal deren Larven. Oder ihre Brüder.

Das hier ist der heimische 7-Punkt:


Es könnte allerdings Hoffnung geben, denn neuerdings werden die Asiatischen Käfer von einem Pilz befallen, der sich in gelben Pusteln auf den Flügeldecken äußert. Das ist ein Schlauchpilz der Ordnung Laboulbeniales mit dem Namen Hesperomyces virescens. So ein Befall muss sehr unangenehm sein, paaren tun sich die Käfer aber auch mit diesem Handicap, scheinbar ist den Weibchen egal, wie entstellt der Auserwählte aussieht. Und der Pilz scheint sexuell übertragbar zu sein, den Larven sieht man das anscheinend aber noch nicht an. Hoffentlich bleibt der Parasit aber auch bei der eingeschleppten Art.


Doch auch wenn die Kavallerie ausschließlich aus Asiaten besteht, ist das nun wirklich kein Grund, Gift einzusetzen, denn damit tötet man auch andere Nützlinge ab, wie die Blattlausschlupfwespen, die am Efeu alle Läuse von innen aufgefressen haben. zurück bleiben seltsam aufgeblähte Hüllen mit einem runden Loch, das ist die Ausstiegsluke der Wespe.




Blattläuse sind nie kein Grund zur Panik, das Problem ist in Windeseile gegessen.

Samstag, 15. Juni 2019

Die Ostsee im Ausnahmezustand

Ein Urlaub am Meer ist immer schön, aber geht auch mehr als Meer? Ich bin da ja durchaus anspruchsvoll, am meisten freue ich mich über Tage an der Küste, an denen es auch Blumen,  Insektengesumme und Vogelgezwitscher zusätzlich zum Meeresrauschen gibt.

Und was ist schöner, als sonnige Junitage mit Ruderalflächen, die in Rot und Blau explodieren? 

Auch auf Rügen gibt es Morgen-, Mittag- und Abendrot mit Klatschmohn bei jedem Wetter. Wenn man früh aufsteht, kann man die Blüten im Gegenlicht fotografieren. Das hier war um kurz nach 6, noch vor dem Frühstück:









Der Mohn ist aber nicht allein, zwischen ihm wachsen auch die Gemeine Ochsenzunge (Anchusa officinalis) und der Gewöhnliche Natternkopf (Echium vulgare) in kühlem Blau. 






Und während der Mohn vor allem bei Hummeln punktet, finden sich an Ochsenzunge und Natternkopf auch die Schmetterlinge ein - und was für welche!

Der Hauhechel-Bläuling, das Kleine Wiesenvögelchen und der Hummelschwärmer dachten eigentlich, sie hätten die ganzen vielen Blüten und vor allem den Klee für sich allein, doch im Moment findet eine gigantische Invasion der wandernden Distelfalter statt, eine sehr leise Landnahme. Es sind Hunderte, sie sind einfach überall. Bestimmt denken die sesshaften Schmetterlinge nun: "Na, toll, immer diese Touristen, jetzt fressen sie uns auch noch den Nektar weg, die blöden orangefarbenen Angeber. Sollen doch selbst mal hier den Winter verbringen, diese warnwestenfarbigen Weicheier." Oder so ähnlich.




So eine Invasion mal hautnah mitzubekommen, ist schon was Besonderes. Besonders ist auch, dass die Distelfalter dieses Jahr anscheinend über eine östliche Wanderroute von Afrika über Israel aus einwandern. Dann weiter vom Balkan ins Baltikum haben sie nun auch Rügen erreicht, schon auf dem Weg auf die Insel haben sie hinter Berlin ständig den ICE begleitet, vielleicht wollten sie sich vom Fahrtwind mitreißen lassen, doch so richtig rasend schnell fährt der Zug auf dem Teil der Strecke nicht. Hilfreich sind natürlich auch die vielen blühenden Ruderalflächen an der Bahnstrecke und das Fehlen von Hindernissen, da tut man gut daran, den Gleisen zu folgen - wenn nur die lästigen Bahnhöfe nicht immer Weg wären.











Auf den Skabiosen-Flockenblumen wurde ganz besonders oft geschubst und gedrängelt, aber drei Distelfalter fanden nie auf einer Blüte Platz, der Klügere gibt eben nach.



In diesem Vorgarten freuen sie sich über die Spornblumen - auf dem rechten Bild sind 8 Falter zu finden:




Es gibt also doch mehr als Meer an der Ostsee - und was ist schöner als eine wilde Wanderwelle reisender Distelfalter?