Als Gärtner hat man meistens auch Nachbarn. Da kann man sich kaum gegen wehren. Besonders in Kleinstgärten begegnet man aber nicht nur den Leuten nebenan sehr oft, sondern auch dem pflanzlichen Inventar in ihrem Garten. Stauden erkennen Gartengrenzen nämlich ganz schlecht, und wenn, sind sie ihnen egal. Und so kommt es, dass ein paar ausbreitungswillige Examplare die Seiten wechseln und auch uns ihre Präsenz aufzwingen. Diese Begegnung kann eine wundervolle Bereicherung für unser Fleckchen Erde sein, aber auch eine feindliche Übernahme darstellen, je nachdem wie wohlgesonnen wir den Invasoren gegenüberstehen und wie sie sich zu benehmen wissen.
Im Zweifel freuen wir uns natürlich erst einmal über den Zuwachs, schließlich hat auch der Nachbar seinerzeit Geld ausgegeben oder Beziehungen spielen lassen, um an genau diese Pflanze zu kommen. Darüberhinaus sind die Gewächse von nebenan schon standorterprobt und ertragen den ortsüblichen Boden.
Breitblättrige Glockenblume (rechts) - Sämling von Nachbars Inventar |
Dummerweise weigern sich gerade die schönsten und begehrenswertesten Stauden auf der anderen Seite des Zaunes stets ganz beharrlich, zu uns herüberzuwachsen. Und wer nicht wuchert, gehört nicht zur billigsten Sorte. Oder zur häufigsten. Da unser Spaten selbstredend auf der anderen Seite des Zaunes nicht unangemeldet zu erscheinen hat, im Folgenden einige (nicht immer ganz ernst gemeinte) Strategien zur friedlichen Aneignung von Nachbars Grünzeug:
- Das Wunschgewächs mit gutem Service überzeugen, in unsere Richtung zu treiben. Geeignete Maßnahmen sind hier die Anwendung von Hornspänen oder einer Leitspur Kompost als Lockmittel. Leider extrem langwierig und nicht immer von Erfolg gekrönt. Eher wird Nachbars Giersch dadurch in unser Territorium gelockt als der hübsche Herbst-Eisenhut.
- Eine Schneise in unseren Bewuchs schneiden, um den Kandidaten mit guter Besonnung in die richtigen Bahnen zu lenken. Kann bei schon arg durch Beschattung gebeutelten Stauden durchaus funktionieren. Schattengewächse allerdings werden sich angewidert zurückziehen.
- Den Samenständen der gewünschten Staude unauffällig und vorsichtig einen mit der Harke überbraten, damit ein paar Früchte eventuell bei uns landen. Nicht anwendbar bei sterilen Hybriden oder sonstigen Keimmuffeln.
- Darauf hoffen, dass die Amseln bei ihren täglichen Laubstreu-Wendemanövern auch mal ein Stück Rhizom freilegen und zu uns hinüberwerfen. Auch das heimlich Abrichten dieser Vögel sollte in Erwägung gezogen werden.
- Sogar Ameisen sind geeignete Vehikel für so manche Samen, wie die einiger Borretschgewächse, Leberblümchen oder Lerchensporn. Sie zu dulden kann also helfen.
- In der Nähe der Gartengrenze stets ein Argusauge auf Keimlinge haben. Zäune dienen Vögeln gern als Sitzplatz, so dass darunter immer besonders viele Sämlinge auflaufen. In diesem Niemandsland kann man sich getrost bedienen. Sowieso sollte man Keimlingen unvoreingenommen gegenübertreten. Vielleicht ist es ja doch das gute Zeug von nebenan.
- Die nächste Strategie ist etwas unkonventionell und extravagant, es sollen damit aber schon gute Erfolge erzielt worden sein: Den Nachbarn fragen, ob er bereit wäre, seine wundervollen Prachtstauden bei Platzmangel in äußerst gute, fachmännische Hände abzugeben. Unsere natürlich. Einen Tauschhandel vorzuschlagen ist ebenfalls nicht verkehrt. Hierbei nicht unbedingt gleich die Wucherkönige unseres Grundstückes anbieten, das könnte die günstige Pflanzenquelle bereits im Keim ersticken. Je wertvoller unser Angebot, desto großzügiger wird auch das des Nachbarn sein.
Geranium phaeum - von der Nachbarin bekommen, im Tausch gegen Wald-Erdbeeren |
Herbst-Eisenhut, vom Nachbarn |
An schöne, kostenlose Stauden kommt man natürlich nur heran, wenn die Nachbarn in etwa den gleichen Pflanzengeschmack haben und ihren Garten in ähnlicher Weise bewirtschaften wie wir. Wer nur von Thuja und Rasen umgeben ist, hat es schwer, an Gratis-Gewächse zu kommen. Bis jetzt hatte ich in dieser Beziehung ganz großes Glück. Das kann sich schon bald ändern, denn im Frühjahr bekommen wir neue Nachbarn. Und sollten diese den schönen Garten nebenan einebnen wollen, stehe ich selbstverständlich bereit, die heimatlosen Pflanzen zu adoptieren. Lieber wäre es mir aber, sie könnten bleiben, wo sie sind, der Bienen zuliebe.