Kennt ihr das Buch "Der tiefere Sinn des Labenz: Das Wörterbuch der bisher unbenannten Gegenstände und Gefühle"? Darin werden Ortsnamen umgemünzt in Begriffe, die schon lange im Wörterbuch gefehlt haben. Und geht es uns Gärtnern nicht auch immer so, dass wir eine neue Wortschöpfung bräuchten, um ein Missgeschick oder ein Gefühl, das wir bei der Gartenarbeit erleben, auszudrücken, ohne einen ganzen Roman für seine Beschreibung aufsetzen zu müssen? Das endet meistens in einer kapitalen Wortfindungsstörung, weil es dieses Wort einfach nicht gibt. Das ist doch ganz und gar ärgerlich!
Hier daher ein kleiner Versuch, neue Wörter für die Gartenarbeit zu finden - alle sind ursprünglich Ortsnamen, die ich umgemünzt habe in gärtnerische Begriffe:
- Atsch: Das Geräusch, das ein Ast macht, der uns mit Schmackes ins Gesicht schlägt bei dem Versuch, ihn abzuschneiden oder festzubinden.
- Bräunrode: Ein Gehölz so stark zurückschneiden, dass es nicht mehr oder nur noch spärlich austreibt und früher oder später abstirbt.
- Bruchsal: Auf die Mühsal beim Herausziehen der Ranken von Zaun-Winde oder Wildem Wein aus den Rosen oder anderen Sträuchern folgt auf den Fuß die Bruchsal: Ein Ast bricht garantiert dabei ab und wir ärgern uns eine Woche schwarz. Passiert mir ständig beim Versuch, eine Ranke vom Wilden Wein aus dem Pfaffenhütchen zu zerren.
- Dürrholz: Völlig verrockneter Strauch, dessen Zustand entweder auf Wühlmäuse zurückgeht oder der immerwährenden Hitze ohne Regen geschuldet ist oder beidem.
- Kaköhl: Wenn man morgens nichtsahnend in den Garten geht und das
Beet mit der Sommerblumenansaat nur noch aus einem nicht völlig
verscharrten, noch frischen Katzenkothaufen besteht.
- Kiesbert: Der Nachbar, der seinen Vorgarten in eine Steinwüste
bar jeder Bepflanzung umgewandelt oder höchstens mit einem
dahinsiechenden Buchsbaum garniert hat.
- Kleenerich: Dieser eine Sämling, der mickrig und viel zu schwach ist, den wir aber trotzdem hingebungsvoll päppeln, weil wir die Aussaat insgesamt vergeigt haben → Kaköhl → Schmölz
- Klein Wanzleben: Die eine Stelle im Garten, wo sich die Feuerwanzen zur Vollversammlung treffen.
- Mürmeln: Das ganz leise, kaum hörbare Vor-sich-Hinmurmeln im Gartencenter, um sich selbst per Gesprächstherapie davon zu überzeugen, dass man keinen Platz hat für auch nur eine weitere Staude. Sorgt meistens für irritierte Blicke bei den anderen Kunden.
- Niederkleen: Das stundenlange Hocken in gebückter Haltung auf dem Rasen, um den Weißklee herauszuklauben, was nicht selten in einem ausgewachsenen Muskelkater und einer Verspannung endet.
- Neusorg: Eine neue Pflanze ist eingezogen und wirft plötzlich Fragen auf, wie die der Überwinterung, weil man im Übereifer ignoriert hat, dass sie nicht völlig frosthart ist. Oder man hat eine solche Pflanze geschenkt bekommen und muss sich jetzt kümmern.
- Schadewohl: Dieses unglaubliche Gefühl von Ärger und Selbsthass,
wenn man den falschen Ast abgeschnitten hat, nämlich den einzig lebenden
unter zig toten oder den der wertvollen immergrünen Clematis zwischen
den alten Wickentrieben.
- Schmölz: Das Dahinschmelzen (meist über Nacht) einer mühsam selbst herangezogenen Pflanze unter dem Ansturm von Schnecken. Man könnte auch sagen: Die Verwandlung einer Pflanze in eine Schleimspur.
- Schrick: Der kleine, aber am Ende erfreuliche Schreck, den man bekommt, wenn beim Unkrautzupfen im Beet plötzlich etwas wegspringt, das sich am Ende als Frosch entpuppt.
- Trügleben: Der Zustand eines Gehölzes, das im Frühjahr die
Blätter verweigert, aber noch ein bisschen grün aussieht, wenn man an
der Rind kratzt, obwohl es längst tot ist.
- Wiebelsaat: Samenkörner, die so klein sind, dass sie beim kleinsten Windhauch zum Nachbarn hinüberfliegen und daher eine Qual beim Aussäen sind.
- Zwischenwasser: Ein schnelles Blumengießen zwischen Frühstück und Zur-Arbeit-Gehen, um bei großer Hitze die Kübelpflanzen vor dem sicheren Tod zu bewahren und bis zum Abend halbwegs frisch zu halten
____________________________________________________
...und nun zu etwas völlig anderem: Weil ich lernen wollte, wie man aus Brennnesseln Fasern gewinnt und wie das mit dem Märchen "Die sieben Schwäne" noch mal war, habe ich "Das Brennnessel-Buch" von Mechtilde Frintrup aus dem at-Verlag gelesen.
Der magische Teil (Signatur, das Pflanzenwesen, "das dritte Auge erwecken") war zwar nichts für mich, doch im praktischen Teil habe ich viele interessante Anwendungen gelernt, von tollen Rezepten über Pflanzenfarbe bis hin zum Spinnen der Fasern. Frau Frintrup ist auf diesem Gebiet Expertin und hat schon selbst Kleidungsstücke angefertigt.
Wie man wann aus der Pflanze grobe und feine Fasern gewinnt, um einen Faden zu spinnen oder Seile herstellt, wird gut in Wort und Bild erklärt. Ich habe erfahren, dass die Kunst der Textilherstellung aus Brennnesseln auch heute noch Anwendung findet, sogar extra dafür Sorten gezüchtet werden und man Kleidung aus Brennnesselgewebe kaufen kann. Meistens wird jedoch die verwandte Ramie (Boehmeria nivea) verwendet, die neuerdings immer mehr als Gartenstaude gepflanzt wird - da ergeben sich doch ganz neue Anwendungsfälle und rückt sowohl Ramie als auch Brennnessel im Garten in ein ganz neues Licht!
Über die Ramie als Gartenstaude hat Katrin Lugerbauer schon öfter berichtet. Sieht die Pflanze nicht klasse aus?
Gut, dass im Brennnessel-Buch auf den Nutzen für Schmetterlinge hingewiesen wird. Auch das Märchen "Die wilden Schwäne" ist mir jetzt wieder präsent!
Wer mehr über dieses eigentlich verhasste Unkraut wissen möchte, ist mit dem Buch gut beraten. Ich werde im Winter tatsächlich versuchen, daraus Fasern zur Verwendung als Gartenschnur zu gewinnen!