Montag, 3. Juni 2013

Kinderteller

Dieses Kraut hat fast so viele Namen wie Nachkommen. Man nennt es Winter-Postelein oder Winter-Portulak, Kuba-Spinat oder einfach nur Gewöhnliches Tellerkraut. Diese letzte Bezeichnung ist schlauerweise doppeldeutig, denn die obere Etage der Laubblätter von Claytonia perfoliata sieht nicht nur aus wie etwas aus der Form geratene, winzige Suppenteller, sondern da gehören sie auch hin: Auf selbigen.

Ins Essen passen aber besser die Blätter, die ganz dezent vor dem großen Blüh- und Vermehrungsspektakel erscheinen, die haben wiederum eine Form wie kleine Spatel oder zu lang gezogene Löffel. Die Kinderteller-Blätter mit dem kleinen Sprung in der Schüssel dagegen umschließen erst ganz hübsch kleine weiße, kurzgestielte Blüten. Das ist wahrlich ein Arrangement wie ein Brautstrauß direkt vom Floristen, aber für Mäuse. Ist diese erste Blühphase beendet, sprießen plötzlich neue Stiele aus dem grünen Kranz, diesmal jedoch zur Abwechslung mal langhalsig und ausladend, als wollten sie sichergehen, beim Versamen mit ihren Auslegern möglichst weit über den Tellerrand hinaus zu schauen.

Man merkt, diese Pflanze regt die Phantasie an wie kein Gemüse es jemals vor ihm geschafft hat. Der kleine Nordamerikaner hat es auch faustdick hinter den Tellerohren. Zwar nur zweijährig, sät er sich reichlich und zuverlässig selbst aus, keimt aber erst, wenn die Temperaturen unter 12 °C liegen, also im Herbst (in diesem Frühjahr treffen seine Lieblingsbedingungen wohl auch des Öfteren zu). Dann wächst das Tellerkraut den Winter über heran. Ist das Wetter milde gestimmt, kann es während der kalten Jahreszeit beerntet werden, um das Laub in den Salat zu werfen. Diese Zähigkeit hat ihm den Namen Winter-Portulak eingebracht und macht das Kraut so ungemein praktisch. Hinzu kommt sein gemäßigtes Verlangen nach Sonne, weshalb die Pflanze sich auch für halbschattige Bereiche noch empfiehlt.

Dieses Jahr hat meines leider ein bisschen Verspätung gehabt. Den ganzen Winter über war es zu klein, um es guten Gewissens in einer Vinaigrette zu versenken, dann ist es mit einem Mal explodiert und hat es plötzlich mit der Blüte sehr eilig gehabt. Zu meinem Glück und seinem Unglück kann man es dann auch noch komplett verspeisen, allerdings finde ich die spatelförmigen Blättchen einfach besser für den Salat. Lecker sieht er jedenfalls immer aus in seinem saftigen Grün.


Und weil ich so nett zu ihm bin und es in Ruhe zu Ende blühen lasse, beehrt es mich mit reichlich Nachkommen, die überall auftauchen, wo man es nicht vermuten würde. Wenn sie ganz gut zielen, treffen sie sogar manchmal die ihnen zugedachten (bzw. dann gerne zur Nutzung überlassenen) Töpfe. Dass die Samen es soweit bringen, liegt auch an den Elaiosomen. Diese Anhängsel werden von Ameisen gefressen, die die Fruchtkörper deswegen mitnehmen und irgendwo liegen lassen. Die Samen schmeißen sich aber auch oft von alleine weg.


Der Winter-Portulak geht gern auf Reisen, weswegen er in Mitteleuropa als Neophyt verwildert und damit in Verruf gekommen ist. Meiner Erfahrung nach wird er in gut bestückten Staudenbeeten aber nie lästig, weil er von den Mitbewerbern um die besten Plätze erfolgreich am Boden gehalten wird. In ordentlich geharkten Anlagen allerdings kann er schon den einen oder anderen Gärtner zur Verzweiflung treiben. Durch seinen Wandertrieb findet er sich manchmal von ganz allein im Garten ein. Das ist dann der Moment, wo man ihn zähmen und kultivieren sollte, um diese fantastischen grünen Blätter zu ernten.

Wer es ein bisschen edler mag, der kann statt zum Winter-Portulak mit seinen unscheinbaren weißen Blüten zum Sibirischen Tellerkraut (Claytonia sibirica, syn. Montia sibirica) greifen. Das ist die Luxusausgabe, die als Bodendecker im tiefen Schatten unter Sträuchern und Bäumen was hermacht und auch am kalten Buffet teilnehmen darf - sie ist ebenso essbar wie die weiße Verwandtschaft. Seine Blüten sind aber größer und rosafarben. Soviel Klasse gibt es leider nur statt Masse - die Pflanze ist nur mit viel Glück auf Staudenmärkten oder Raritätenbörsen aufzutreiben. Hat man sie einmal ergattert, vermehrt sie sich aber auch ganz großzügig.

Beide Tellerkräuter jedenfalls haben den Überraschungseffekt auf ihrer Seite und sorgen für viel Unterhaltungswert mit der Frage: Wo werden sie noch überall auftauchen? Wem es doch zuviel mit ihnen wird, der kann das Problem ja einfach auf den Teller tun, dann ist es endgültig vom Tisch.

12 Kommentare:

  1. Liebe Elke,

    die Natur ist wirklich unerschöpflich. Was es da so alles gibt und welche Vermehrungskünste manche Pflanzen so an den Tag legen, da kann man echt nur staunen. Das alles dann noch in so einen schönen Post verpackt, ist das doch die beste Abendunterhaltung.

    Liebe Grüße
    Jutta

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  2. Und dabei kommt der Winterportulak so unscheinbar daher. Ob ich ihn auch mal anpflanzen soll? Abgesehen vom Nährwert sieht er ja auch noch gut aus.
    Liebe Grüße
    Dagmar

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  3. Ob der sich in dem wieder freigelegten Beet der vergessenen Gemüse wohlfühlt? So zwischen Bärlauch und Walderdbeeren ...
    Noch muss ich da etwas Ordnung schaffen, denn der Schlingknöterich, die Knoblauchsauce, Wald-Bingelkraut und Wolfsmilch-Sämlinge teilen das Gebiet gerade unter sich auf. Aber im Herbst!???
    Danke für den Tipp
    LG Silke

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    1. *lach* und Silke dachte bei dem Ganzen schon im Voraus an die schmackhafte (Salat?)-Sauce :-) :-)

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  4. Sehr interessant... ich habe schon zweimal versucht Portulak in meiner Kräuterspirale anzusiedeln, hat nicht geklappt...., wahrscheinlich hab ich zu eifrig Unkraut gejätet... Danke für den Post!
    LG Marita

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  5. Ach, WINTERPORTULAK ist das! Ich hab mich bei dem letzten Post gefragt, was Winter-Posteleien sind. Warum haben die Pflanzen immer mehrere Namen? Das verwirrt mich ständig. Vom Winterportulak hab ich schon gehört und gelesen und dein Artikel bestärkt mich darin ihn auch im Herbst zu säen. Schmeckt der wie Salat? Dieses Kraut scheint ja wirklich deine Fantasie zu beflügeln...hihi! Toller Post.

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    1. Ja, der schmeckt eher wie Salat. Nicht so würzig jedenfalls wie Feldsalat.
      VG
      Elke

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  6. Hallo Elke,
    wieder einmal ein herrlicher und vor allem sehr aufschlussreicher Post!!! Portulak stand auch mal auf meiner Pflanzenwunschliste für´s Gemüsebeet. Ich weiß gar nicht, warum er es dann doch nicht bis in meinen Garten geschafft hat...wonach schmeckt er denn? Kannst du die Samen auch ernten? Ich hätte da nämlich mal wieder eine Samentauschidee, oder hast Du bereits Chinesischen Lauch im Garten? Der hat einen ungemeinen Zierwert im Staudenbeet, ist (hier) sehr versamungsfreudig, schmeckt wie Knoblauch, hat aber den großen Vorteil, dass er im Gegensatz zu den Knollen keinen unangenehmen Geruch produziert...

    Liebe Grüße, Bärbel

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  7. Hatte ich noch nie, ein sehr interessanter Bericht!

    Sigrun

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  8. Ich hab das noch nie gesehen..... Interessant!!
    Herzlichst
    yase

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  9. Liebe Elke,
    deine Texte sind immer wieder köstlich
    so wie die hübsche kleine Tellerpflanze :-)
    Ganz viele liebe Grüße
    sendet dir Urte

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  10. Mhhh, Postelein liebe ich sehr, dazu Topinambur - ein erstklassiger Salat! Jetzt weiß ich auch, was ich mir UNBEDINGT noch in den Garten holen muß.

    Alles Liebe und einen schönen Sonntagabend
    Sara

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