Montag, 8. September 2014

Karriereleiter

Man geht nie zweimal in denselben Garten. Das stimmt ohne Zweifel, wie man unschwer an seinem eigenen Grünstreifen überprüfen kann. Anscheinend kann man aber auch an zwei verschiedene Orte in den Alpen fahren und wieder ganz andere Pflanzen in den Bergen finden als im letzten Urlaub. Vor einem Jahr fand ich in Berchtesgaden heraus, woher die Christrose stammt, denn die wächst ja nicht von Hause aus im Gartencenter. Auch der Blaue Eisenhut war ein ständiger Begleiter.

Dieses Jahr lag unser Basislager am Fuße der beiden Waxensteine, deren Nachbarin die Zugspitze ist. Alpen sind Alpen, dachte ich, zumal in Deutschland, und so war ich überrascht, in den Bergen und auf den Wiesen wieder neue Pflanzen zu entdecken, die ich in Berchtesgaden nicht gefunden hatte. Dafür fehlte diesmal aber der auf der letzten Reise gut vertretene Bunte Hohlzahn - und auch die gute alte Christrose fand ich nirgendwo.

Eine sich diesmal geradezu aufdrängende Staude, die aus unseren Gärten nicht mehr wegzudenken ist, war erstmals die Große Sterndolde (Astrantia major). Es war eine Freude, ihren gärtnerischen Ursprung in den Bergwiesen und -wäldern aufzuklären. Den Klebrigen Salbei (Salvia glutinosa) kannte ich schon aus dem letzten Urlaub. Er hat es im Gegensatz zur Sterndolde nicht flächendeckend in die Gärten geschafft.

Da stellt sich doch die Frage, warum einige Stauden als gartenwürdiger als andere betrachtet wurden und sich als Gartenpflanzen seit Jahrhunderten etabliert haben?

Hier einige Kriterien, die vielleicht eine Rolle gespielt haben in der Bewerbungsphase:

  • Was eine echte Gartenpflanze werden möchte, darf sich nicht mädchenhaft anstellen. Die Kandidatin sollte eine große Standortamplitude mitbringen, will heißen: Unter anderem eine große Toleranz gegenüber verschiedenen Boden- und Lichtverhältnissen. Idealerweise mag die Staude zum Beispiel am liebsten einen sonnigen Platz, macht sich aber nicht gleich vom Acker, wenn sie während einiger Stunden des Tages von etwas beschattet wird - oder umgekehrt. Ein solcher Allrounder ist der Frauenmantel. Eine andere Form der Toleranz: Wenn die Pflanze am Naturstandort einen kalkhaltigen Boden bevorzugt, sich in Gefangenschaft aber auch mit einem leicht sauren abspeisen lässt. Statt feuchtem Boden kann sogar ganz normaler reichen: Als Karrierebeispiel wäre hierzu der Blutweiderich zu nennen.
  • Die Anwärterin für den Titel "Königin der Gärtnerherzen" muss sich exzellent in der Sache mit den Blumen und den Bienen auskennen. Sie sollte sich also leicht vermehren lassen, entweder vegetativ oder über Samen. Sie benötigt idealerweise keinen exotischen Bestäuber, der nur am anderen Ende der Welt vorkommt, und wenn doch (man denke an Kolibris oder hochspezialisierte Wildbienen), sollte sie wenigstens schnell in die Breite gehen, damit man Ableger abstechen kann.
  • Eine Pflanze mit Gartenambitionen muss auf eigenen Wurzeln stehen können. Parasiten mit oder ohne Blattgrün sind nur mit ihrem Wirt lebensfähig und werden deswegen meist als unhandlich bis unmöglich in der Kultur betrachtet. Ein solches Enfant terrible ist der Augentrost, ein Halbschmarotzer auf Gräsern, aber ein sehr hübscher.


  • Nur die Winterharten kommen in den Garten: Eine Pflanze sollte sowohl mit zweistelligen Kahlfrösten umgehen können als auch allzu milde, klatschnasse Winter auf die leichte Schulter nehmen. Wer hier versagt, wird nicht befördert und überlebte wohl nicht einmal das Mittelalter im geheimen Klostergarten.
  • Das Offensichtlichste zum Schluss: Hübsch sollte die Wildpflanze natürlich auch sein - schöne, große, bunte Blüten sind ein Garant für eine steile Karriere. Falls es in der Beziehung hapert, sollten die Nachkommen der Anwärterin wenigstens eine ordentliche Varianz zeigen oder sich mit verwandten Arten kreuzen lassen, damit man sie durch Auslese schöner Sorten in die richtige, gefällige Richtung schulen kann. Das beste Beispiel dafür ist die Rose, unter den Stauden lässt sich die Gemeine Schafgarbe nennen. Falls die Blüte allzu unscheinbar ausfällt, sollte wenigstens kulinarisch etwas für den Gärtner herausspringen.

Nanu, sollte eine gute Gartenpflanze sich denn nicht auch schleunigst das Wuchern abgewöhnen, also neudeutsch an ihren "Social skills" arbeiten? Wenn man die Karrieristen unter den Wildpflanzen betrachtet, fällt auf, dass dies kein Kündigungsgrund sein muss - wie sonst wären der Gilbweiderich oder die Lampionblume in so vielen Gärten zu sehen?
Nicht zu verachten ist auch Freund Zufall bei der Karriereplanung. Manche Wildpflanze ist einfach ein Pechvogel und wurde einfach noch nie zur Zucht herangezogen oder immer übersehen. Dazu gehört meiner Meinung nach der wunderbare Klebrige Salbei. 


Warum ist der denn nun bitteschön keine Gartenpflanze? Ich verstehe es nicht und helfe ihm gern, auf der Karrieleiter ein bisschen voran zu kommen, damit es diese bei Hummeln so beliebte und sogar schattenverträgliche Staude am Ende doch noch schafft, wenn auch mit einigen Jahrhunderten Verspätung.

11 Kommentare:

  1. Hallo Elke,
    hast du dir Samen oder einen Ableger davon mitgenommen, um ihm den Weg in die Gärten zu ermöglichen? Ich kann kaum an tollen Pflanzen vorbeigehen, wenn ich Samen dran entdecke. Das ist mir erst gestern mit dem Wiesenstorchschnabel so ergangen, den ich in der Fränk. Schweiz entdeckt habe. Der hat den Weg zum Staudengärtner ja schon längst gefunden. Toll, dass du sogar eine Sterndolde in den Alpen entdeckt hast.
    LG Sigrun

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    1. Hallo Sigrun,
      ich habe mich nicht getraut, an den Naturstandorten Samen zu sammeln. Man kann die Saat aber zur Not auch kaufen - soweit hat der Salbei es immerhin schon gebracht. ;-)
      VG
      Elke

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  2. Ich werde mir dieses Gartenstiefkind mal näher ansehen :) Ich mag Pflanzen, die sich selber versorgen ganz gerne
    Herzlichst
    yase

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  3. Liebe Elke,
    aber hübsch sind sie doch alle! ;)

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  4. Wurde aber auch Zeit, dass da mal jemand ein gutes Zeugnis ausstellt, für die hübschen Pflänzchen, damit das mal was wird mit der Karriere. Die Gemse hast Du super erwischt und so gefallen sie mir xig mal besser als auf dem Teller oder gar an der Wand :o).
    Hab eine gute Woche.
    En liebe Gruess
    Alex

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  5. Wie immer jede Menge toller Fotos ! Da hast du ein paar sehr seltene Schätzchen gefunden... Mhm, der Klebrige Salbei hat es sogar auf die Pflanzungsflächen der LaGa 2006 geschafft. Sollte man nicht glauben, oder ? Ich finde ihn auch schön... so wie eigentlich alle Salbei-Arten... Die Herbstzeitlose ist zwar schön, aber unglaublich gefährlich - vor allem die Samen. Frisch auf der Wiese werden die Herbstzeitlosen von Pferden, Rindern und Kühen gemieden und durch das Trocknen werden sie leider nicht mehr von den Tieren erkannt. Also endet der Verzehr von Heu mit getrockneten Colchium-Pflanzen und Samen tödlich für viele Vierbeiner. Die extrem hohe Giftigkeit in allen Teilen ist natürlich auch für den Menschen ein großes Problem - Kinder pflücken gern mal ein Sträusschen der wunderschönen Blümchen...
    Danke für deinen wie immer sehr schön geschriebenen Post ! GLG, Christine

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    1. Hallo Christine,
      ach, schon auf der LaGa 2006 war er? Das ist ja interessant, da war offenbar ein Gärtner seiner Zeit voraus.
      Ich hatte mich auch schon gefragt, wie sich das mit den Herbstzeitlosen im Heu verhält. Aber da die Wiesen voll waren mit den Blüten, scheint es irgendwie zu klappen? Vielleicht wird die Wiese erst beweidet und nach Verschwinden der Blätter und Samenstände für die erste Heumahd genutzt?
      VG
      Elke

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    2. Ja, hat mich auch gewundert, dass er hier schon eingesetzt wurde. Ich besuche das Gelände noch regelmässig und er breitet sich schön aus. Ich glaube, dass bei der Planung damals der Gaissmayer dabei war - er war seiner Zeit ja schon immer voraus. Warst du mal bei ihm in der Gärtnerei ? Wunderschöne und inspirierende Schaupflanzungen kann ich da nur sagen !!!

      Mhm, das müsste man einen Bauern dort fragen wie es sich mit der Beweidung verhält. Viele Bauern kennen ja das Problem und versuchen evtl. auch das Entstehen von Samenständen zu unterbinden ?! Das wäre wirklich interessant zu erfahren wie die Bauern mit dem Problem umgehen... ebenso wäre es interessant, wie sie gegen die giftigen und ausbreitungswütigen "Einwanderer" wie z.B. das Greiskraut vorgehen... Ein interessantes Thema.

      Hab noch eine schöne Woche ! GLG, Christine

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  6. Liebe Elke,
    da bin ich wieder :-))
    Nun, habe ich erstmal alles nachgeholt und mich
    wie immer köstlich amüsiert und unterhalten und
    mich gefragt, ob du schon mal darüber nachgedacht
    hast, ein Gartenbuch zu schreiben und wenn nein,
    warum nicht, und wenn ja, wieso kenn ich es nicht!!! :-)))
    Herrlich deine Posts!!!
    Ganz viele liebe Grüße zum Wochenende
    sendet dir die Urte :-)

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  7. Hallo Elke,
    da hast Du ja wieder einige Schätzchen in den Alpen entdeckt!
    Mich wundert es auch, dass der klebrige Salbei so stiefmütterlich behandelt wird, er sieht so schön aus. Vor allem die Farbe ist ja wirklich mal etwas ganz anderes bei Salbei.

    Den Schwalbenschwanz hast Du super getroffen!

    Liebe Grüße, Bärbel

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