Dienstag, 18. Januar 2011

Schuster, bleib bei deinen Leisten

Schusterpalme, Metzgerblume, Bahnwärterlilie - in diesen Namen schwingt das Gewöhnliche mit, das Allgegenwärtige, das Unverwüstliche. Alles Berufe, denen der grüne Daumen nicht nachgesagt wird, daher müssen Pflanzen, die es dort aushalten, der Inbegriff an Robustheit sein - als grünes Beiwerk im unwirtlichen Schaufenster oder einer staubigen, dunklen Werkstatt.
Eigentlich gemein, oder? Nie hat man von einer Juweliers-Yucca gehört oder einer Goldschmiedgeranie - da schämt sich die Schamblume und der Mottenkönig wundert sich.
Heutzutage bedürfen solche Pflanzennamen auch einer dringenden Modernisierung: Internetcafe-Iris oder Spielhallen-Spathiphyllum würden ähnlich desolate Bedingungen der Neuzeit charakterisieren.
Die Douglasie gilt übrigens nicht, die findet man eher seltenst in Parfümerien.

Die Schusterpalme (Aspidistra elatior) soll sich wie der Name sagt seit altersher in Schusterwerkstätten aufgehalten haben und ist der Überlebenskünstler schlechthin. Extrem schattenverträglich vegetiert sie noch vor sich hin, wo jede andere Pflanze eingeht wie ein Primelpott.
Ihr englischer Name "Cast-iron Plant" zeigt, wo's langgeht: Die Gusseiserne.

Die eiserne Lady unter den Zimmerpflanzen ist so gewöhnlich, dass sie schon als langweilig gilt.
Ihre große Zeit hatte die Chinesin zwischen 1860 und den 50er Jahren das 20. Jahrhunderts, danach ging es bergab.
Als Omablume ist sie daher verschrien.

Dabei besaßen meine Großmütter beide keine einzige Schusterpalme. Die eine nannte einen einzigen, unverzweigten Gummibaum ihr eigen, die andere war vernarrt in Weihnachtskakteen jeglicher Couleur.
Vielleicht schaffe ich es deshalb, dieser Allerweltspflanze so unvereingenommen zu begegnen.

Aber zugegeben, es war auch nicht irgendeine Aspidistra elatior, in die ich mich verguckt habe, sondern die Luxusausgabe: Die unvergleichliche Aspidistra lurida "Milky Way".
Die heißt nicht so, weil sie in Milch schwimmt, sondern weil ihre dunkelgrünen Blätter übersät sind mit weißen Punkten - wie die Milchstraße eben.


Die Pflanze befand sich ebenfalls an einem ganz lebensfeindlichen Ort, nämlich ein paar Büros entfernt von meinem.
Just, als ich entdeckt hatte, dass Milky Way ihre Galaxis mit Hilfe von ingwerwurzelähnlichen Ausläufern erweitern wollte, bis jetzt aber offensichtlich jeder Aufstand am Topfrand niedergemetzelt worden war - die Scherenspuren waren unübersehbar - rückte das Sondereinsatzkommando Pflanzenpflege an!

Da uns Bürohengsten und -stuten nicht zugetraut wird, die teilweise recht wertvollen Hydrokulturpflanzen am Leben zu erhalten (dieses Misstrauen ist zugegebenermaßen nicht ganz unbegründet), wird mehrmals im Jahr ein mobiler Pflegedienst engagiert, der das Düngerdepot auffüllt, die Gewächse ausputzt und sogar abstaubt. Bei soviel Luxus gedeihen die meisten auch prima trotz teilweise mutwilliger Verschattung.

Mit Argusaugen verfolgte ich jeden Schritt der Pflanzenpflegerinnen, bis sie schließlich beim Objekt der Begierde angekommen waren. Die Frage, ob sie mir den Stoßtrupp schenken würden, wenn sie ihn sowieso eliminieren, wurde nicht nur bejaht, sondern mein Wunsch übererfüllt, indem sie mir sogar ein bisschen mehr fleischiges Rhizom ausgruben, das schon etwas bewurzelt war.

Der Zeitpunkt war günstig: Nicht nur konnte ich bei den milden Temperaturen die Ableger ohne Frostbeulen aus der Firma entfernen, darüberhinaus war sogar der Sack Blumenerde auf der Terrasse nicht tiefgefroren.

Ältere Exemplare kann man auch wie eine Staude durch Teilung vermehren, was in meinem Fall natürlich nicht in Frage kam. Die Sauerei auf Teppichboden wäre ein Fall für die Personalakte gewesen.

Da die Schusterpalme zwar Schatten verträgt, aber bloß keine direkte Sonne, kann man sie an Orte verbannen, wo sonst nichts wachsen will. Allerdings hatte ich bei meiner Astronomen-Aspidistra Bedenken, dass ihre Milchstraße dadurch über kurz oder lang in einem schwarzen Loch verschwinden wird. Panaschierte Formen möchten ja stets nicht ganz so stiefmütterlich behandelt werden.

Also residiert sie jetzt im Badezimmer am Ostfenster, hinter Milchglasfolie:


Ich hoffe, inständig, dass sie anwächst und nicht etwa einen auf Sternschnuppe macht.
Schließlich habe ich ihretwegen reichlich Dekorationsmaterialien von der Fensterbank entfernt.

Vielleicht sollte ich ihr damit drohen, sie beim ersten Anzeichen von Schwäche zum Schuster zu bringen, der wird ihr schon gehörig den Hintern versohlen.

13 Kommentare:

  1. Liebe Elke, ich bin immer wieder von den Socken, was du so alles über Pflanzen weißt!
    Wahnsinn!!!!
    Ganz liebe Grüße,
    Juliane
    PS: Ja, es hat eben manchmal auch Vorteile nicht am Wasser zu wohnen... ;o)

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  2. Hallo Elke, jetzt weiß ich endlich, was bei mir in der Küche steht, habe ich irgendwann man von meiner Mutter über geholfen bekommen. Meine ist riesengroß und ganz gewöhnlich- ohne Punkte, allerdings hieß das gute Stück bei mir bisher immer Fleischerpalme. Viel Erfolg beim Pflegen und viele Grüße Annette

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  3. Liebe Elke,

    große Klasse - Du schreibst ja wie ein richtiger Geschichtenerzähler und habe Dein Geschreibsel mit Wonne gelesen. Bitte mehr davon.
    Wobei ich echt bezweifel, ob die Schusterpalme es bei mir lange machen würde. Ich habe auch die Madagaskar-Palme hinbekommen und die soll ja ein Gewächs für Pflege-Analphabeten sein.

    Liebe Grüße
    Jutta

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  4. Liebe Elke! Deine Beiträge sind immer sehr lehrreich. Bis jetzt habe ich diese Pflanze überhaupt nicht gekannt, aber ich bin froh, dass sich das jetzt geändert hat.

    lg kathrin

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  5. Hallo Elke,
    die Schusterpalme war mir bisher völlig unbekannt. Ich habe sie gegoogelt und mir verschiedene Bilder angesehen. Auch die Bilder haben bei mir keine Erinnerung geweckt. Um so interessanter ist deine ausführliche Beschreibung. Wenn ich das nächste Mal ins Gartencenter fahre, werde ich mich mal umsehen. Vielleicht finde ich eine Schusterpalme.
    Liebe Grüße
    Anette

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  6. Wie immer witzig geschrieben! Ich lese gerne die Beiträge, auch wenn ich kontinuierlich meine Indoorpflanze abbaue, indem ich sie verschenke!

    LG Rosana

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  7. Wow, von einer Schusterpalme hab ich auch noch nie gehört. Hochinteressant, was du darüber schreibst. Wieder etwas dazu gelernt, vielen Dank!

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  8. Hi Elke.
    Vielen dank für deine Pflanzenbelehrung,könntest direkt als Gärtnerin durchgehen.
    Schöne Woche noch und liebe Grüße Jana

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  9. Wie immer saugut geschrieben, liebe Elke!
    Hihi, die noble Sorte der Schusterpalme hast Du also. Ob die wohl mal bei Hugo Boss oder bei Manolos stand? Ich hoffe, sie benimmt sich artig und nicht versnobbt, damit Du sie nicht versohlen musst... wär ja schade drum.
    Liebe Grüsse
    Alex

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  10. schusterpalme, hatte ich noch nie gehört. danke für die tolle info. gruss sibylle

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  11. Hallo Elke,
    Du verstehst es, uns mit Deinen köstlichen Beiträgen zu unterhalten. Herrlich geschriebener, aber auch mal wieder sehr aufschlussreicher Text! Schusterpalme, Metzgerblume...habe ich vorher noch nie gehört. Jetzt würde mich aber mal interessieren, wie so eine Metzgerblume und Bahnwärterlilie aussieht.
    Aber sag´ mal, Ihr habt für Euer Büro einen mobilen Blumenpflegedienst? Also Sachen gibts...

    So und jetzt werde ich noch einen Abstecher in den Bielefelder Botanischen Garten machen (wunderschöne Bilder!)

    Liebe Grüße von Bärbel

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  12. Was für ein schöner Bericht. Ich bewundere, welche Mühe du dir mit dieser "Beamtenpflanze" gibst. Gemeiner Begriff, ich weiß, ich meine es aber nicht so.
    Weißt du, woran ich denken muss? AN das Buch
    "Die Wonnen der Aspidistra" von George Orwell. Eins der Lieblingsbücher meines Sohnes. Als ich das Buch auf seinem Schreibtisch sah, musste ich erstmal ergoogeln, was das eigentlich für ein exotischer Name ist.

    LG Heidi

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  13. ooh, jetzt erst gelesen. Die Schusterpalme ist meine Lieblings-Zimmerpflanze! Sie ist wirklich unverwüstlich und kommt wochenlang ohne gießen aus. Die Blüten sind auch sehr witzig (direkt auf der Erde, werden gerne übersehen)Im Moment experimentiere ich mit 2 Ablegern, die im Freien überwintern. Bisher sehen sie gut aus, ich denke, dass sie es überleben werden.
    @anette: Im Gartencenter gibt es sie ganz selten. Es ist eine extrem langsamwachsende Pflanze, die sich auch nicht mit Hilfsmitteln antreiben lässt, also für billige Massenkultur uninteressant. Manchmal findet man sie in gut sortierten Gärtnereien, aber Nicht-Kenner haben vielleicht das Gefühl, dass sie ganz schön teuer ist für eine auf den ersten Blick unscheinbare Grünpflanze. Deshalb haben die meisten Gärtnereien die Schusterpalme aus dem Sortiment genommen. Wirklich schade.
    LG Martina

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