Samstag, 31. Juli 2021

Ein Tag am See

Arbeiten wo andere Urlaub machen! Das gelingt einem Freund von mir ganz gut, der das Renaturierungsprojekt am neuen Quellesee beim Campingpark Bielefeld mitbetreut. Der See war mal ein staubtrockener Spargel- und Erdbeeracker, doch dann wurde Sand für den Weiterbau der A33 gebraucht. Da das Gelände schön sandig ist und sich die Betreiber des Campingplatzes schon immer einen Badesee gewünscht haben, lag es nah, dass der Sand aus dem Acker kommt und die entstandene Grube mit Regenwasser "geflutet" wird. Zurück zur Natur ist das Motto!


Nun ist es soweit und es darf gebadet werden! Der Zutritt zum See ist allerdings zahlenden Gästen des Campingplatzes vorbehalten und sie dürfen nur bis zu einer Bojenabsperrung schwimmen, um auch der Natur genug Erholung zu gönnen. Disteln werden geduldet, als biologisch abbaubarer Stacheldraht, der die Besucherströme auf natürliche Weise lenkt - alles also irgendwie auch wie ein großer Garten, wo man lenkend eingreift. Hier die Nickende Distel:


Letzten Samstag durfte ich mitkommen zum Pflegeeinsatz und mal schauen, was auf den Sandflächen so los ist an sechsbeinigen Campinggästen. Ein bisschen habe ich mitgeholfen, Birkenschößlinge herauszurupfen, denn das Gelände soll offen bleiben und kein Wald werden. Die Birken, Pappeln und Weiden sind natürlich anderer Meinung und geben sich alle Mühe den Sand eilig zu begrünen.

Eilig haben es auch die Dünen-Sandlaufkäfer, die über die Wege und Sandflächen flitzen. Wer die gemütlichen großen Laufkäfer gewohnt ist, wird überrascht sein, denn Sandlaufkäfer sind gut zu Fuß und fliegen behende auf, wenn man ihnen zu nahe kommt. Rund um den See waren so viele von ihnen, dass man bei jedem Schritt eine kleine Wolke vor sich hertrieb. Sogar an den Abbruchkanten versuchten sie sich im Freeclimbing.

Sandlaufkäfer leben als Larve und als Käfer räuberisch und fangen Insekten im Laufschritt bzw. als Larve aus ihrer Wohnröhre im Boden heraus. Und so ist es schwer, sie zu fotografieren. Auf dem harten steinigen Weg zu knien für ein Sandlaufkäfer-Portrait war eine Qual, leichter ging es bei paarungswilligen Tieren, denn im Doppelpack sind sie deutlich träger.


Chheeeeeeese:


 

Die Trendfarbe am See um diese Zeit ist gelb: Das Jakobs-Greiskraut (Senecio jacobaea) blüht überall und zieht Schmetterlinge, Schwebfliegen und Bienen an. 



 

Der Kleine Feuerfalter findet man See Sauerampferpflanzen, an die er seine Eier ablegen kann. Freien Erdboden gibt es auch reichlich, so wie er es mag.

Die tigerentenbunten Raupen des Blutbärs geben sich Mühe, das Jakobs-Greiskraut etwas einzudämmen.


 

Gelbe Blüten steuert auch der Rainfarn bei, wo sich Seidenbienen finden.




 

Wenn man ganz genau hinschaut, wer da so auf dem Boden herumwuselt, findet man sogar ihren Parasiten, die Filzbiene.


 

Die nicht-heimische Goldrute, die auch schön gelb blüht, wird hier rigoros entfernt. 

Sogar richtig wilde Tiere im Raubtierlook gibt es - zum einen Tigerschnegel, zum anderen tigerartig gestreifte Wespenspinnen.



Plötzlich stach uns etwas Blaues ins Auge - na nu, was war das denn für eine hübsche Pflanze oben am Hang mit Blüten auf mehreren Etagen? Sieht aus wie Minze, aber ohne minzigen Duft - das ist die seltene Polei-Minze (Mentha pulegium), die sich hier von selbst angesiedelt hat, was toll ist.



Interessanterweise wächst und gedeiht der Gewöhnliche Hornklee (Lotus corniculatus) besser am Wasser als auf den Freiflächen. Hier finden sich Hauhechel-Bläulinge und Große Wollbienen ein, die nicht wasserscheu sein dürfen.



 

Der Blut-Weiderich macht, was er immer macht: Er baut nah am Wasser und wird dabei ganz rot:


Wir haben auch Tausendgüldenkraut (die meisten bereits verblüht) und Echten Eibisch (noch nicht blühend) gefunden. Nachtkerzen finden sich ebenfalls reichlich, da sie als typische Pionierpflanzen freien Boden sofort annektieren.

Auf dem Gelände wurden Teiche für Amphibien angelegt. Reptilien, Wiesel und andere Tiere, die es gern trocken haben, finden Unterschlupf in Ast- und Steinhaufen, unter Baumstümpfen und in Totholzhecken. Alles Elemente, die man auch im Garten nachbauen kann.



Ich bin gespannt, wie sich das Gelände entwickeln wird und welche Tiere sich noch einfinden werden - Uferschwalben? Vielleicht darf ich ja noch einmal mitkommen.

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Dann möchte ich heute noch ein Buch vorstellen, das einen wahren Kontrast darstellt zum wilden Sandgebiet, wo ein Gemüseacker umgewandelt wurde in Natur. Vom Baggersee in die Grüne Lunge Frankfurts mit den GemüseheldInnen: Urban Farming von Juliane Ranck, Laura Setzer:

 


Kater Kato fand das Buch allerdings einschläfernd, aber Katzen sind auch selten Leseratten: 😉


In diesem bunten Buch wird beschrieben, wie die verwilderten und vermüllten Gärten in Frankfurts Grüner Lunge (ein Grünzug, der ursprünglich sogar bebaut werden sollte, aber jetzt doch erhalten bleibt) zum Gemüseanbau hergerichtet wurden im Sinne der Permakultur. Auf die sonst üblichen Hochbeete würde weitgehend verzichtet, da offener Gartenboden genutzt werden kann. Die Erträge können sich sehen lassen, obwohl in vielen Gärten Schatten durch angrenzende Baumgruppen vorherrscht.

Wer selbst ein städtisches Projekt anstrebt und solche Gemeinschaftsgärtern planen möchte, ist mit diesem Buch gut beraten, denn von zwischenmenschlichen Dingen und Arbeitsteilung bis hin zum Beschaffen von Geldern oder Kompost wird alles erklärt. Der Leser ist gleich per Du und lernt die GemüseheldInnen in Wort und Bild kennen, das schafft Vertrauen. Nett fand ich auch, dass von den Anfängerfehlern berichtet wurde. Ein Buch über Permakultur kann es aber nicht ersetzen.

Vielleicht finden sich bald noch mehr Permakulturgärten in deutschen Großstädten?

15 Kommentare:

  1. Oh, toll! Ich finde es immer wieder beeindruckend, was sich innerhalb kürzester Zeit irgendwo finden lässt, wenn die Natur einfach mal machen darf.
    Die Polei-Minze hab ich noch nie "in echt" gesehen.
    Besonders gut gefallen hute ja mir die Käferfotos und der tiefenentspannte Katzen-Po!
    LG
    Centi

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    1. Äh, ich muss manchmal ernstzunehmende Schwierigkeiten mit der Wortstellung haben... "mir ja heute" sollte das im letzten Satz heißen. Sorry.

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  2. Moin Elke,
    da ist er ja der Hornklee, echt schön sieht er aus.
    Und um deinen Ausflug beneide ich dich, da wäre ich auch gerne dabei gewesen. Wie sich die Natur ein Gebiet zurück erorbert finde ich immer wieder spannend.
    Schleswig-Holstein plant auch einige Gebiete zu renaturieren, ob das gelingt?
    Schönes Wochenende und viele Grüße
    Gabi

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  3. Hallo Elke,
    das ist ja mal ein tolle Projekt. Natur und Mensch haben beide was davon. Finde ich super. Gut finde ich auch, dass nicht alles wahllos verwildern lassen wird (Birkensämlinge...) was viele Menschen heute am liebsten von der ganzen Natur in Landschaft und Gärten haben möchten.
    Liebe Grüße, der Achim

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  4. Liebe Elke,
    das ist ja ein ganz tolles Projekt, was es da alles zum Entdecken gibt, ist ja grandios. Den Sandlaufkäfern begegne ich sogar hin und wieder hier in den Lösswegen, ja sie sind wahnsinnig schnell, deine Fotos gelungen. Da hast du mir eine Anregung gegeben, die Raupe des Blutbären am Jakobs-Greiskraut zu suchen, eine selten schöne Raupe, den dazu gehörenden Bär möchte ich auch einmal sehen, da müsste ich dann nachts unterwegs sein. Solche Aktionen finde ich sinnvoll und du hast so wunderbar darüber berichtet. Eine schöne Katze hast du, auch wenn sie nicht lesen mag.
    Liebe Grüße
    Edith

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    1. Liebe Edith,
      der Kater ist nur zu Besuch, der gehört Nachbarn.
      Den Blutbär habe ich auch schon tagsüber am Greiskraut gesehen, vielleicht findest du ihn.
      Viele Grüße
      Elke

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  5. Ein wunderbares Projekt von dem du berichtest, liebe Elke...da drücke ich die Daumen für die Uferschwalben...in den Lippeauen bei Lünen konnten wir sie so schön beobachten. Gestern habe ich mich wieder an den natürlichen Ansiedlungen durch Wilde Möhre, Pastinak, Rainfarn, Jakobskreuzkraut, Malve etc. an den Bundesstraßen erfreuen. Diese Eindrücke sind einfach klasse und besser als heruntergemähte Straßenränder.
    Lieben Gruß und einen schönen Sonntag, Marita...die gespannt auf die Mauerseglerkästen ist, die an unserem Haus angebracht werden.

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  6. Liebe Elke,
    das ist ein tolles Projekt. Ich wünsche mir, dass so etwas viel, viel öfter realisiert werden würde.
    Etwas Hoffnung habe ich, denn hier und da tut sich ja was. Auch bei uns gibt es ein "Wasserloch", welches noch vor einiger Zeit zugeschüttet werden sollte. Inzwischen hat die Stadt es auch als teils Erholungs- und teils Naturschutzgebiet ausgewiesen.
    Deine Fotos sind wirklich toll.
    Und ja, auch im eigenen Garten kann man einiges machen.. bzw. einfach mal nicht machen und ein paar Ecken wild lassen.
    Liebe Grüße
    Alke

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  7. Hallo Elke,
    wie wunderbar wenn man der Natur wieder was zurück gibt. Einfach herrlich zu sehen wie Ruck Zuck neues und vielseitiges Leben entsteht! Ein toller Post, der Mut macht in diesen düsteren Zeiten.
    LG...Stephanie

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  8. Hallo Elke,
    ich hatte dieses Jahr noch keinen Schlauch in der Hand! Einige Hortensien zeigen mir das sie Durst haben, doch bisher bleibe ich standhaft. Der Phlox würde sich ebenso über einen Schluck Wasser freuen, mal sehen wie sich die Wetterlabe entwickelt. Bei uns soll es die nächsten Tage etwas regnen.
    LG...Stephanie

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  9. Das ist ja ein spannendes Projekt. Es ist ja immer wieder faszinierend, wie sich die Natur entwickelt. Wir werden sicher mal wieder etwas davon zu sehen bekommen!
    Viele Grüße von
    Margit

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  10. Begeisterungswürdig, was da passiert ist, die Tierbehausungen finde ich grandios. Die Entwicklung und Dynamik der Stauden und Annuellen ist super. Ich habe lediglich eine Frage zum wohl absoluten Gehölz freihalten. In einem der ersten Fotos ist irgend ein Nadelgehölz-Saum zu sehen (Fichte?). Könnte man da nicht noch einen Gürtel mit Wildrosen, Euonymus, Aronia, Brombeeren usw. für Vögel pflanzen? (Vielleicht gibt es das auch, ist aber nur nicht zu erkennen) Falls das nicht möglich ist, wäre es nicht denkbar dann wenigstens einige Sanddorn- oder ähnliche Gehölze (ja ist mehr Pflegeaufwand) in die Freiflächen einzubringen? Die Flug-Hemmdistanz vieler Vögel ist ja sehr klein und wenn da gar nichts ist, dann haben einige sicher ein Problem zum Trinken und Baden an den See zu kommen. Oder überschätze ich einfach die Distanzen, es waren glaube ich, keine Größenangaben zu lesen. Dein Käferbild ist ja wirklich "messerscharf", gratuliere. LG Wurzerl

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    1. Ich glaube, der Wald auf dem ersten Bild gehört gar nicht mehr zum Gelände. Es gibt aber einen auf der anderen Seite, der ist sehr nah am See, ein Gehölzrand ist also da. Mit Sanddorn und Aronia ist es nicht so einfach, es ist nämlich verboten, gebietsfremde Pflanzen anzusiedeln. Ich hatte auch schon die Idee einer Blasenstrauchhecke, aber vermutlich ist das auch verboten...
      VG
      Elke

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  11. Vielen Dank liebe Elke, ja habe mir schon gedacht, dass die "gebietsfremden" Pflanzen hier auch Zugangsverbot haben. Ist es sehr pamphletisch wenn ich einen "Kassandraruf" loslasse? Ich glaube, wir werden viele gebietsfremde Pflanzen irgendwann anbetteln, doch wieder zu uns zu kommen, weil sie genau da heimisch sind, wo uns der Klimawandel gerade hinführt. LG Wurzerl

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  12. It will be interesting to see what plants and animals make use of the newly opened space.

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