Montag, 27. Mai 2013

Die ungleichen Zwillinge

Man sollte meinen, dass man in einem so kleinen Garten wie dem meinigen mit jeder Pflanze per Du ist, sogar mit dem Unkraut. Stimmt auch meistens, aber es gibt auch Fälle, wo ich aufgrund der geringen Ausmaße des Reviers einfach nicht mehr den nötigen Abstand habe, um noch differenziert genug gucken zu können. Man wird betriebsblind, oder besser: beetblind. Das soll jetzt aber keine Entschuldigung sein für das peinliche Geständnis, das jetzt kommt.

Seit vor zwei Jahren meine hochgeschätzte, als winziger Sämling gepflanzte und bis dato nicht näher benannte, Strauchpfingstrose sich als Paeonia delavayi entpuppte - dunkelrot, duftend und einfach wunderschön - war für mich das Thema erledigt. Der Name der Rose war gefunden, weiter zur Tagesordnung.

Gut, sie hatte zwei Stämme, aber ich hatte angenommen, das zweite Ros' wäre demselben Wurzelstock entsprungen. Den kleinen Unterschied bemerkte ich nicht: Der Zweig mit den roten Knospen schaute immer ein wenig deprimiert drein, ließ Blatt und Blüten hängen und schien insgesamt ein erdverbundener Zeitgenosse zu sein. Der Habitus der blühenden Pflanze wirkte stets etwas rotweinselig, um nicht zu sagen trübsinnig. Dazu passte auch die Blütenfarbe von geradezu schwermütigem Dunkelrot.



Ganz anders der zweite hölzerne Stiel: Wie ein Trichter steckte er die geweihartigen Blätter nach oben, als wollte er alles Licht der Welt einsammeln und nur für sich behalten. Ihn zeichnete eine durchaus positive Lebenseinstellung aus und ein sonniges Gemüt. Auch, dass er noch nie geblüht hatte, blieb mir durch die Nähe zur P. delavayi verborgen. Aber bis auf diese Kleinigkeiten gab es bislang keinen Grund, an der physischen Integrität dieses Strauches zu zweifeln. Vielleicht hatte die eine Seite einfach nur eine andere Frisur oder war auf eine Dünger-Ader im Boden gestoßen.

So dachte ich, bis ich neulich routinemäßig und im Vorbeischlendern die nickenden, roten Kugelknospen bewunderte und mein flüchtiger Blick ganz oben auf dem zweiten, größeren Stämmchen einen dicken, gelben Ball streifte. Gelb, dachte ich beiläufig und wollte mich schon umdrehen, als ich stutzte. Gelb. Gelb? Ganz helle Blüten, ich sah eindeutig nicht Rot! Nun traue ich selbst Paeonia delavayi weder unter Drogeneinfluss noch bei Gewitter einen spontanen Farbwechsel von Rot nach Gelb zu. Ich denke auch nicht, dass hier ein politischer Umschwung stattgefunden hat mit einer gelben Splitterpartei als Ergebnis. Der normale Weg der Blütenfarbe geht immer über Grün nach Rot, nicht über Gelb. Gelb ist nicht ihre Farbe.

Was war passiert? Ein Wunder? Eine Sprossmutation? War ich jetzt reich? Alles wichtige Fragen, vor allem letztere, aber vermutlich war es doch viel profaner: Was ich da jahrelang als einen einzigen Strauch betrachtet hatte, waren in Wahrheit zwei verschiedene Persönlichkeiten. Keine eineiigen Zwillinge und schon gar keine siamesischen, aber mittlerweile ebenso untrennbar. Nun passte alles zusammen: Von der so ganz anderen Körperhaltung bis zur allgemeinen Weltanschauung waren das eindeutig zwei Arten Strauchpfingstrosen. Die neu erblühte musste eine Paeonia ludlowii sein, die gelbe. Daher auch ihr durch und durch sonniges Gemüt. Die beiden so eng zusammen sehen nun dummerweise aus wie die klassische Ampelkoalition - und widersprechen sich auch genauso oft - farblich nicht gerade dezent, muss man sagen.


Nachdem das geklärt wäre, bleibt mir nur noch der heiße Tipp: Wo immer ihr eines Sämlings unter einer Strauchpfingstrose ansichtig werdet, greift beherzt zu und erlöst ihn aus seinem Schattendasein unter der Mutterpflanze. Wer selbst aussäen möchte, sollte Samen von P. delavayi sammeln, die keimt leichter. Die Blüten riechen auch besser, finde ich. Diese robusten, krankheitsfreien und winterharten Gehölze sind zwar eine elende Geduldsprobe bis zur ersehnten ersten Duftblume, aber auch wahnsinnig spannend, Nervenkitzel inklusive. Paeonien-Babies eignen sich prima als Hochzeitsgeschenk, denn sie sind Pflanzen für's Leben. Am besten gleich ein Pärchen zum Präsent machen, vielleicht ergibt sich dann auch so eine extravagante Paarung wie in meinem Garten. Aber besser sofort weiter auseinander pflanzen, denn zusammen sind sie nicht nur stark, sondern auch sehr grell gefärbt.

Sämling


Jedenfalls ist es doch nett, wenn der kleinste Garten immer noch solche Überraschungen bereit hält, mit denen man gar nicht gerechnet hatte.

21 Kommentare:

  1. Sind wunderschön! Die Gelbe habe ich einmal in Irland fotgrafiert, waren übermannshohe breite Büsche, übervoll mit Blüten, ein Traum. Die rote ist auch toll, ich mag die Farbe. Es bleibt wohl spannend für dich, wie sich die zwei Hübschen wohl in den nächsten Jahren zusammenraufen werden ;-)

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  2. Die Farbzusammenstellung ist echt krass. Auch wenn ich mich über fast jede Blüte im Garten freue, so würde ich eine der Farben dann wohl doch für die Vase schneiden. Allerdings wäre Saat ja auch nicht schlecht, um dann zumindest die Kinder nach x-Jahren an einem anderen Ort anzusiedeln ...
    Allerdings bisher hat mir meine Strauchpäonie noch keine Baby-Päonien geschenkt :-(
    LG Silke

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  3. Wunderbar geschrieben - danke für die Kurzweil ;-) Ich habe ebenfalls zwei Sorten Pfingstrosen in meinem neu erworbenen Garten (vorgefunden). Werde gleich mal nach draußen gehn und mir die Knospen von der bislang noch zurückhaltenderen genauer ansehen. Sollte die auch gelb blühen, dann wirds grell - beide Pflanzen befinden sich in Sichtachse von meinem Bürofenster aus betrachtet...

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  4. Was für ein herrlich geschriebener Beitrag! Ich könnte ein ganzes Buch aus deiner Feder lesen.
    Es kommt gar nicht so selten vor, dass sich zwei verschiedene Pflänzchen in einem Topf befinden. So hatte ich in diesem Jahr noch einen Zweitfarn in meinen Wendeltreppenfarn-Töpfchen und einen weißen Miniaturallium in einen anderen Neuzugang.

    Liebe Grüße

    Vera

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  5. Da merke ich wieder einmal, dass ich nur wenig Ahnung von Pfingstrosen habe...so gelb habe ich sie noch nie gesehen, allerdings fühlen sich Strauchpfingstrosen bei mir irgendwie gar nicht wohl...LG Lotta.

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  6. wunderbar glücklich bin ich über deine Entdeckung, genau so eine Paonie / Pfingstrose mit dem gleichen
    Bltt habe ich von einer Reihenhausterasse erhalten
    meine Tochter mochte sie nicht und ich teilete sie gelich und beglückte shon wuei LiebhaberInnen
    Nun kenne ich doch auch gleich den Namen Paeonia ludlowii
    werde den Link mit deinem Blog gleich meinen KollegInnen zumailen

    Danke Frauke

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  7. Hallo!
    Momentan hätschele ich ein Rsensämling, und bin sehr gespannt, was daraus mal werden wird :)
    Herzlichst
    yase

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  8. Wunder gibt es immer wieder, la,la,la,tirili. Das ist ja mal eine Überraschung. Meine Pfingstrose ist grün. Ganz grün. Nur Blattwerk und Stiel. Von Blüten, ob gelb oder rot keine Spur. Ich werde sie umpflanzen und schauen, ob sie sich dann etwas wohler fühlt. Bisher zeigt sie mir die blütenfreie Schulter.

    Sonnige Abendgrüße, Jo

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  9. Das hast du wunderbar beschrieben, ich habe mich köstlich amüsiert :-) danke für diesen kleinen Exkurs ... Was machst du jetzt mit der gelben Grazie? Lässt du sie einfach blühen oder stört dich die Farbkombinationen zu sehr? LG Steffi

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  10. Das ist ja ein Ding - und du hast es wieder so köstlich beschrieben :-)
    Aber du läßt sie doch jetzt beide zusammen, oder? Ist doch ein tolles Gespann ;-)
    Ganz viele liebe Grüße
    sendet dir Urte

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  11. Eben! Ich bin für Überraschungen im Garten durchaus zu haben. Päonien per Samen habe ich allerdings noch nie gezogen. Das wäre mal eine Idee. Aber ich habe kaum noch Platz. Die Strauchpäonien werden schnell sehr groß - seh ich inzwischen an meiner.
    Liebe Grüße
    Elke

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  12. Hallo Elke,
    oh wie wunderschön dieser "Trittbrettfahrer" in sonnengelb doch ist - er steht seinem Zwilling in tiefrot in nichts nach :).
    Lieben Gruß, Doris

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  13. Hallo Elke,
    das ist ja witzig, was machst Du denn jetzt mit dem ungleichen Paar? Kannst Du sie vorsichtig ausgraben und trennen? Eine Freundin von mir hat vor kurzem in einer Baumschule ein bereits recht großes Exemplar vom weißen Flieder Mme Lemoine erworben. Als nun die Blüten kamen, war zu ihrer großen Enttäuschung ein großer Teil davon lila, da hatte sich also ein einfacher lila Flieder mit in den Topf gemogelt, und unsere Eberesche besteht auch aus zwei Sorten.
    Eigentlich ließe sich das doch gut vermarkten: 2 Pflanzen in einem Topf - Vielfalt für den kleinsten Garten!

    Liebe Grüße, Bärbel

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  14. Hallo Elke.Die beiden haben sich gefunden.Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen was beiden gut tut.
    Schöne Woche und liebe GRÜße Jana.

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  15. Liebe Elke,
    Deine Strauchpfingstrose hat eine wunderschöne Farbe! Und Hahnenfuß hatten wir im Waldgarten auch. Leider kann ich lange Texte zur Zeit nicht gut lesen wegen eines Augenproblems. Daher beschränke ich mich überwiegend auf die Bilder. Wollte mich doch aber einmal wieder melden und auch noch Danke sagen für Deinen Kommentar von vor einer Weile.

    Liebe Grüße
    Sara

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  16. Oh, ich hab' die Gelbe für einen Hahnenfuß gehalten *lach* - jetzt hab' ich doch noch einmal näher gelesen, denn "sie" kam mir doch etwas groß und atypisch für einen Hahnenfuß vor. Was es alles gibt! Wußte ich bis dahin auch noch nicht.

    Alles Liebe nochmal
    Sara

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  17. Hallo,

    was für eine Belohnung - wenn die Sämlinge dann so schön blühen - die Analyse ist wirklich sehr Interessant. Ich habe Botanik im NF studiert und mein Wissen scheint der Erfahrung noch hinterher zu rennen - und ich kann nur meinen Hut ziehen!

    Liebe Grüße von Senna

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  18. Liebe Elke,
    na das ist doch eine Entdeckung, chöner als ein Sechser im Lotto. Ob sie dir das gelbe Kind mitverkauft hatten? Oder meinst du, das eine Hybridisierung der Mutterpflanze. wie auch immer, eine prächtige Pflanze. Ich habe nie Pfingstrosen gepflanzt aus vielerlei Gründen. Zu ungeduldig um auf dei Blüten zu warten (dabei könnte ich mittlerweile 30jährige Büsche haben) und zuwenig Platz im kleinen Garten. Aber toll sind sie, und zwar ganz speziell die Strauchpäonien. Danke für den schönen Post.
    Liebe Grüße, Johanna

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  19. Liebe Elke,

    das ist ja wieder eine Geschichte, die kann wirklich nur in Deinem Garten passieren, denn Du kannst am besten darüber schreiben. So manch kleine Überraschung habe ich in meinem Garten auch schon erlebt.

    Liebe Grüße
    Jutta

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  20. Hallo Elke
    Was für eine geniale Überraschung! Ich mag ja Gelb ansonsten nicht so sehr im Garten, aber bei Pfingstrosen mache ich (schon wieder) eine Ausnahme. Habe auch eine gelbe, aber die zickt ziemlich rum. Eigentlich hat sie in diesem Jahr auch drei Knospen entwickelt, doch irgendwie scheinen die wie vertrocknet (wie ist das möglich, bei der andauernden Sintflut?) zu sein. Hmm... ich werde wohl künftig, wenn die Pfingstrosen ihre Samen preisgeben, ganz genau hinschauen in fremden Gärten und Gartencenter, ob man da nicht was "mitlaufen" lassen könnte :o).
    En liebe Gruess
    Alex

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  21. Warten lohnt sich manchmal. Aber deine Überraschung kann ich gut nachvollziehen. Solche Dinge passieren öfters beim Gärtnern. Nur leider überrascht einen eine Pflanze nicht immer positiv.
    In der Hoffnung auf besseres Wetter LG Sibylle

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