Samstag, 15. Juni 2024

Schneckenwetter

Was ich in meiner Nacktschnecken-Paranoia schon alles für solche gehalten habe:

  • die braunen Blatt-Austriebe vom Bronze-Fenchel
  • Faullaub in braun
  • abgefallene alte Blüten von Nadelbäumen
  • Steine
  • Tonscherben
  • alte Blüten von Taglilien

 

Besonders perfide sind an einem Spinnfaden hängen gebliebene, im Wind schaukelnde braune Blätter. Da sich manche Nacktschnecken, so auch die Spanische, an einem Schleimfaden nach Art Mission Impossible abseilen können, liegt der Verdacht nahe.


Neulich seilte sich eine von der Fensterbank am Küchenfenster ab. Die Haustür ist nach jedem Regen zugeschleimt und vollgeschissen, aber das würde ich in Kauf nehmen, wenn sie dafür die Pflanzen in Ruhe lassen würden - das wäre ein richtiger Green Deal, aber davon träume ich nur und meine Stauden auch.

So einen hübschen Anblick wie diesen hier gibt es in meinem Garten schon seit Jahren nicht mehr. Früher war die Terrasse auch übersät mit schnuckeligen Schnirkelschnecken, aber seit den trockenen Sommern findet man keine mehr. Oder gibt es eine andere Ursache für ihr Verschwinden?




Den häuschentragenden Schnecken würde ich in jedem Fall nichts tun, sie sind auch kaum schädlich für die Pflanzen.

Die schlimmste von allen ist die Spanische Wegschnecke (Arion vulgaris), mittlerweile Kapuzinerschnecke genannt. Sie stammt nämlich gar nicht aus Spanien und lange wurde berichtet, dass sie entgegen erster Vermutungen heimisch sei, aber anscheinend ist sie doch von irgendwo her eingewandert und ein neuerartiger Schädling. Der Klimawandel mit den milden Wintern helfen ihr und anderen Neuankömmlingen wie der Gefleckten Weinbergschnecke, bei uns Fuß zu fassen. Es wurden schon Dichten von 60 Spanischen Wegschnecken pro Quadratmeter in Gärten beobachtet.

Natürliche Feinde sind rar, Arion vulgaris hat nämlich einen sehr zähen Schleim, der nicht gut ankommt bei Räubern. Lauf- und Kurzflügelkäfer fressen Eier und Jungtiere von A. vulgaris, doch nur sehr große Laufkäfer wie Carabus nemoralis fressen größere Jungtiere, erwachsene Schnecken aber anscheinend gar nicht.

Im Garten und vor allem in Gemüsegärten können die Spanische Wegschnecke und die Gefleckte Weinbergschnecke verheerend sein. Absammeln und in der Natur wieder freilassen klingt zwar nett, ist aufgrund ihres Neozoen-Status aber nicht gut für die Ökosysteme, wo eine solche Überpopulation dann Probleme macht und andere Scheckenarten verdrängt. Auch ist die Art Zwischenwirt des Französischen Herzwurms (Angiostrongylus vasorum) sein, der Hunde und Füchse befällt. Heu wird zudem durch Nacktschnecken verunreingt und schädigt in der Folge Haus- und Nutztiere. *

Eine Freundin berichtete, dass durchgeschnittene Nacktschnecken immer über Nacht verschwunden waren. Die Wildkamera enthüllte dann, dass Waschbären und Nutrias die schleimigen Überreste fraßen. Aber ob sie auch lebende, auf dem Weg zum nächsten Gemüsebeet befindliche Schnecken erbeuten? Auch ist es fragwürdig, Neozoen mit Neozoen zu bekämpfen, zumal der Waschbär bei mir gerade unten durch ist, nachdem der pelzige Wonneproppen zum zweiten Mal in einer Saison das Kohlmeisennest ausgeräumt hat. Er hat bis zum Plündern der Nistkästen immer gewartet, bis die Jungmeisen kurz vorm Ausfliegen waren, um den maximalen Ertrag zu ernten. Der Stachelkragen  um den Stamm hat nicht geholfen, jetzt muss ich wohl die Fronten der Nistkästen gegen die Alcatraz-Variante austauschen.

Hier sucht er an Nachbars Hausecke nach Futter. Ich hole das Vogelfutter nachts rein, um das dicke Pelztier nicht zu mästen.


Aber zurück zu den Schnecken: Nur Schneckenzäune mit konsequentem Absammeln, bis innerhalb der Umzäunung keine Schnecken mehr da sind, helfen dem Gemüsebeet, diese Bezeichnung zu Recht zu tragen.

Einzelne Pflanzen kann man nachts mit Einmachgläsern schützen. Schneckenkragen funktionieren auch, sehen aber mehr wie ein Fremdkörper aus. Doch das tun abgefressene Gerippe von Stauden ja auch...




Schafwolle oder Kaffeesatz helfen, solange sie trocken bleiben. Auch mit Lavamulch habe ich gute Erfahrungen gemacht. Laufenten passen nicht in jeden Garten und haben auch ihre Bedürfnisse, die erfüllt werden wollen.

Auf keinen Fall kann man Jahre oder Jahrzehnte abwarten, bis sich Fressfeinde an die neue Schnecke angepasst haben. Dann könnte es für manche Pflanzenarten und darauf spezialisierte Insekten zu spät sein.


* https://www.researchgate.net/publication/317127167_Arion_vulgaris_Moquin-Tandon_1855_-_the_aetiology_of_an_invasive_species

Samstag, 8. Juni 2024

Sensation mit Mohn

Früher sahen Urlaubsfotos anders aus, oder? Bilder vom Eiffelturm zeigten ihn und nur ihn, den Eiffelturm. Heute fotografiert man sich selbst vor dem Eiffelturm, auch wenn der vielleicht fotogener ist und nie einen Bad-Hair-Day hat. Oder einen Sonnenbrand. Kaum ein Urlaubsfoto kommt mittlerweile ohne Beweis aus, dass man höchstselbst dort war. Bei mir sehen Urlaubsfotos meist noch mal anders aus. Weder bin ich selbst drauf noch eine Sehenswürdigkeit. Die meisten Fotos zeigen Tiere oder Pflanzen, auf den meisten erkennt man nicht mal mehr den Urlaubsort.

Entweder schaue ich nach oben, ob Vögel unterwegs sind, oder nach unten, ob Insekten Dinge tun. Am langen Wochenende war ich wieder in Brandenburg unterwegs. Und da ich den Blick auf der Suche nach Krabbeltieren auf den sandigen Weg gerichtet hatte, fiel mir plötzlich etwas auf: Dort lagen kleine Fragmente von Blütenblättern herum, blaue und rote. Und dann sah ich es: Eine Röhre führte im Sand in die Tiefe und war mit roten und blauen Blütenblättern ausgekleidet, die wie ein bunter Schal das Loch einrahmten. Was war denn das?



Hier galt es, sich auf die Lauer zu legen. Schon hockte ich auf allen Vieren vor diesem Loch und wartete. zum Glück dauerte es nicht lang, bis sich etwas regte, und zum Glück kam niemand vorbei. Dann sah ich sie: Blauäugig mit großen Mandibelen: Das war die Erbauerin dieses Kunstwerks, das in nichts dem Eiffelturm nachsteht: Die Mohnbiene (Hoplitis papaveris), auch Mohn-Mauerbiene genannt, nistete hier im Brandenburger Sand.





Ihre Niströhre gräbt sie selbst und kleidet sie mit Blütenblattstückchen aus, die sie besonders gern am Mohn abbeißt und zerknüllt in den Mandiblen zum Nest trägt, wo sie damit den Gang ins Erdreich auskleidet. Vielleicht, damit der Sand nicht hinein rieselt, immerhin sprechen wir hier von der Sandbüchse Brandenburg. Ein bunter Kragen rundet das Bauwerk ab. Er wird später über dem Loch zusammengefaltet, dann wird alles mit Sand zugedeckt.

Die blauen Blütenblätter stammen von Kornblumen, die ebenfalls am Feldrand in der Nähe wuchsen, zusammen mit Klatschmohn.




Ein anderes Weibchen mochte lieber alles unifarben und verwendete nur Mohnblüten.




Die Bienen sammeln auch an Mohn Pollen, doch eigentlich brauchen sie ihn vor allem als Baumaterial. Sie besuchen viele unterschiedliche Blüten und sind polylektisch. Obwohl sie den Pollen als Larvennahrung also überall bekommen, sind sie auf Mohn angewiesen. Und auf offene Bodenstellen, die sandig sind oder sich wenigstens leicht bearbeiten lassen. Und das alles ist ein Problem.

Die Mohnbiene ist daher noch seltener als ein Acker mit Mohn und Kornblume. Sie ist in vielen Bundesländern vom Aussterben bedroht oder gilt sogar schon als verschollen. In der Schweiz ist die Art vermutlich ausgestorben. Auch in Brandenburg ist sie selten, ich habe den Fund daher an allen möglichen Stellen gemeldet.


Das war ein großes Glück, diese außergewöhnliche Biene leibhaftig zu sehen und fotografieren zu können. Das war für mich in etwa so, wie ein Einhorn zu finden.

Was kann man tun, um die Mohnbiene in Deutschland zu retten? Eine einfache Möglichkeit ist es, die extensive Landwirtschaft zu fördern, indem man Bio-Lebensmittel kauft, am besten regional. Die konventionelle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden wird eher wenig Mohn zu Tage fördern oder die Insekten gleich direkt vergiften.

An geeigneten Stellen, wie in Brandenburg, kann es sich sogar lohnen, Klatschmohn und ein Sandarium oder sandige Wege im Garten anzubieten.

Es wäre doch jammerschade, diese hochinteressante Art zu verlieren. Nicht nur wegen der Urlaubsfotos.

Samstag, 1. Juni 2024

Der Giersch muss weg?

Giersch ist garstig. In Staudenbeeten mit empfindlichen oder noch kleinen Pflanzen wuchert er in beeindruckender Geschwindigkeit alles zu und und scheint dank der Ausläufer zu springen - stets poppt er ein bisschen weiter im Beet auf. Dabei helfen ihm auch noch die Schnecken, indem sie ihn nicht fressen, sich aber sehr gut unter seinem Laub verstecken können. Eigentlich wäre er also eine sehr pflegeleichte, bodendeckende kostenlose Staude, die fast alles mitmacht und auch noch essbar ist. Ein Bodendecker also, der Unterkraut unterdrückt, wenn er nur nicht selbst als solches gelten würde. Ich jäte ihn trotz seiner Vorzüge, wenn ich ihn sehe, aber ich glaube, wenn er blühen würde, würde ich schwach werden.

Denn das muss man ihm lassen: Die Blüten sind großartig und wie erwähnt völlig ohne Mühen zu bekommen. Manchmal gibt er sich sogar richtig Mühe und blüht in Weiß und mit einem Hauch Rosé. Aber ich denke, für eine zünftige Blüte müsste man ihn gewähren lassen und darf ihm nicht durch Jäten den letzten Nerv und die ganze Kraft rauben.

In einem großen Garten habe ich ihn blühen sehen. Das sah toll aus. Man sollte den Umgang mit dem gierigen Giersch also unbedingt überdenken, denn in Säumen vor Hecken oder in Staudenbeeten mit sehr robusten anderen Gewächsen kann er durchaus kleidsam sein.

Doldenblütler sind ja sowieso in den meisten Gärten etwas unterrepräsentiert und der allgegenwärtige Giersch hilft doch gern freiwillig aus. Die Insekten lieben ihn, wie die folgenden Bilder zeigen.

Korpulenter Käfer an zarter Blüte: Rosenkäfer:


Es geht auch kleiner und schlanker: Gefleckter Schmalbock:



Der Kleine Schmalbock (Stenurella melanura):


Wieder Kleiner Schmalbock, der Grünliche Scheinbockkäfer hat sich leider kurz vorm Auslösen versteckt, dafür ist eine kleine Wespe gerade im Anflug:


Gewöhnliche Sandbiene (Andrena flavipes), schon ziemlich abgeflogen:



Sogar große Schmetterlinge mögen Giersch, hier ein älteres Tagpfauenauge, das schon ganz blass und ausgefranst ist. Wenn man sich Sandbiene und Schmetterling so anschaut, könnte man meinen, der Giersch wäre eine Pflanze für Insekten-Senioren - Pollen und Nektar sind ja auch gut zugänglich.



Wer sich doch nicht an den Giersch herantraut, wählt die Süßdolde (Myrrhis odorata). Sie blüht etwas früher, ist relativ schneckenfest und auch schattentolerant. Es gibt sogar einen Bonus: Die Samen sind essbar und schmecken nach Anis. Aus ihnen lässt sie sich auch leicht heranziehen. Insekten schätzen die Blüten und Samen sehr, vor allem die Streifenwanze.



Ein Stolperkäfer-Männchen futtert Pollen:



Also, wer ist dein Doldenblütler-Herzblatt - und wie hälst du's mit dem Giersch?